Während dieser Haute-Couture-Woche in Paris waren alle Augen auf eine Frau gerichtet: Virginie Viard. Sie war es nämlich, die nach Karl Lagerfelds Tod im Februar die Rolle der Kreativchefin im Hause Chanel übernahm.
Bereits im Mai stellte sie dann im Rahmen der Resort-Schauen zum ersten Mal ihr Können unter Beweis – mit Erfolg. Die Kollektion entsprach Chanels grundlegenden Elementen, die Kulisse ehrte ein letztes Mal den verstorbenen Modezar. Dazu liess Viard als Hommage an ihren Mentor Bahnhöfe aus den Städten im Grand Palais errichten, in denen er seine berühmten Resort-Runways ausgerollt hatte. Die Kritiker waren zufrieden.
Jetzt, knapp zwei Monate später, stand Lagerfelds Nachfolgerin wohl vor der grössten Herausforderung, die die Modewelt zu bieten hat – die Pariser Haute-Couture-Schauen. Lange wurde gemunkelt, was sich Chanels neuer kreativer Kopf wohl für die Paradedisziplin in Sachen Design einfallen lassen würde. Kommt sie an Lagerfelds legendäre Entwürfe heran? Welche Kulisse wird sie wählen? Und vor allem: Ist sie wohl mutig genug, ihre Persönlichkeit einfliessen zu lassen?
Am Dienstag hatte das Rätseln endlich ein Ende. Die Pforten des Pariser Grand Palais öffneten sich wie so oft für die Präsentation von Chanel. Statt einen aufregenden Spaceship-Landeplatz oder einen geschäftigen Supermarkt betraten die Gäste eine Bibliothek, die bereits auf den ersten Blick Ruhe ausstrahlte. Der von Viard gewählte Schauplatz diente diesmal nicht als Andenken an King Karl, sondern war Coco Chanel gewidmet, der Gründerin des Luxuslabels.
Im Vergleich zu anderen Brands hielt sich Chanel in der Haute-Couture schon immer gewissermassen zurück. Die Mode soll ein Kunstwerk sein, aber eben auch tragbar. Ein ewiger Leitfaden, dem auch die neue Kreativchefin treu geblieben ist. Zu leisen, dramatischen Klängen schwebte das erste Model in die Bibliothek – Tweed, elegant verzierte Knöpfe, weisse Strumpfhosen, an Barock erinnernde Pumps. Ein typisch, klassischer Chanel-Look, den die Models gleich in mehreren Farbfacetten präsentierten. Es folgten auf die weibliche Silhouette abgestimmte Kostüme, Hosenanzüge, schwingende Röcke – teils wie schon etliche Male zuvor gesehen, teils neu inspiriert mit ausgestellten Ärmeln oder tiefschwarz gefärbten Federn. Genau wie die Farbplatte, sind Viards erste Haute-Couture-Entwürfe – bis auf wenige Ausnahmen – dezent gehalten.
Gross haben sich Chanels elegante, non-chalante Designs – inklusive breiter Manschetten und ruhiger Schnitte – auch nach dem Tod des Modezars nicht verändert. Man merkt, dass Lagerfeld und Viard bereits seit über 30 Jahren Hand in Hand gearbeitet haben. Schade? Wohl kaum. Die Französin macht Mode, die der erwachsenen Frau gefällt, und das eben auch in der sonst so skurrilen Haute-Couture. Bravo!