Elena Kratter, herzliche Gratulation zu Ihrer olympischen Bronzemedaille im Weitsprung in Paris. Was war Ihr persönliches Highlight?
Dass wir und die Organisatoren es geschafft haben, so viel öffentliches Interesse zu erzielen. Wir durften in ausverkauften Stadien antreten. Der Enthusiasmus der Zuschauer hat mich mega beeindruckt.
Sie erarbeiten Ihre Prothesen eigenständig. Natürlich steht die Funktionalität für Sie als Sportlerin im Vordergrund. Ist Ihnen dennoch eine gewisse Ästhetik wichtig?
Ich bin Orthopädietechnikerin, ich baue Prothesen – natürlich auch meine eigenen. Bei der Alltagsprothese achte ich darauf, dass sie mir gefällt. Ich finde es cool, wenn sie technisch aussieht.
Also wie ein Cyborg?
(Lacht.) Ja, genau!
Zalando will mehr Mode, angepasst auf die Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigung, anbieten. Sie sind das Gesicht dazu …
… ja, ich finde es sehr cool. Durch diese Initiative wird die Aufmerksamkeit auf unsere Bedürfnisse gelenkt. Denn es gibt einen Markt dafür – es gab ihn schon immer, die Kleider wurden einfach von uns selber geändert. Es ist schön, dass ich jetzt wie alle anderen online eingeben kann, was ich brauche, ohne selbst nach Lösungen suchen zu müssen.
Wie sollte für Sie passende Mode aussehen?
Wichtig ist, dass es normal aussieht und nicht nach angepasster Mode.
Gibt es Brands, von denen Sie sich wünschen würden, dass sie sogenannt adaptive Mode gestalten?
Was ich mega cool finde, ist, dass die grossen Sportmarken wie Nike und Adidas langsam auf dieses Thema aufmerksam werden. Ich habe eine Sammlung von rechten Schuhen zu Hause, die ich nicht brauche. Was ich benötige, ist ein linker Schuh und eine entsprechende Sohle für die Prothese. Diese Überlegungen machen sich mittlerweile auch die grossen Sportmarken.
Hatten Sie beim Shoppen bereits erinnerungswürdige Erlebnisse?
Der Klassiker ist Schuhe kaufen. Dort bringen sie zum Anprobieren immer den rechten Schuh. Ich sage immer, dass ich den Schuh schon anprobieren kann, doch ich weiss trotzdem nicht, ob er passt – ich spüre ja nichts (lacht).
Ist es für Sie wichtig, dass Ihre Prothese im Alltag sichtbar ist?
Ich trage normalerweise lange Hosen. Dann merken die meisten Leute gar nicht, dass ich eine Prothese habe. Es ist total spannend, denn wenn ich im Sommer mit kurzen Hosen beispielsweise in den Zug einsteige, dann werden mir Sitzplätze angeboten. Ich habe also immer die Wahl zwischen wahrgenommen werden oder nicht.
Spielen Sie mit dieser Sichtbarkeit?
Ja, es gibt sicher die Tage, an denen ich denke, ich habe keine Lust, angestarrt zu werden. Dann lege ich mir bewusst längere Hosen an, obwohl es zu warm ist. So kann ich untertauchen, ohne dass ich als Prothesenträgerin wahrgenommen werde.
Wird oft geschaut?
Ja, doch das ist einfach Interesse. Jeder schaut, wenn er etwas sieht, was er nicht jeden Tag sieht. Es gibt aber einen Unterschied zwischen neugierig Schauen und Starren. Und es gibt halt Tage, an denen ich das mehr wahrnehme, und Tage, an denen mir das total egal ist. Es ist somit sehr tagesformabhängig. Sie haben gesagt, dass wir alle weniger Hemmungen haben sollten, aufeinander zuzugehen.
Wie nehmen Sie diese Hemmungen wahr?
Ich kann ein Beispiel nennen. Als ich ganz zu Beginn einen Leichtathletikklub gesucht habe, wurde es bereits schwierig, als ich sagte, dass ich eine Sportprothese trage. Es wurde sofort gezweifelt. Wie geht das? Kannst du das? Störst du die Trainingsgruppe?
Wirklich?
Ja. Doch eigentlich sollte es doch wie bei Kindern sein, die in einen neuen Sport starten wollen. Wo gesagt wird: «Hey, du kannst vorbeikommen und beim Training reinschauen.» Spätestens dann merken alle Beteiligten, dass es gar keinen Unterschied gibt. Die Hemmungen entstehen oft aus Angst vor dem Ungewissen.