Ja, Justin Bieber kann seine Schuhe in den Pool tunken. Sie sind aus einem geschlossenzelligen Kunstharzgemisch, dem Wasser nichts anhaben kann. Die Frage hätte einst gelautet: Warum trägt ein millionenschwerer Popstar die Gartenlatschen unserer Eltern zur Diamantkette? Die giessen darin das Beet und topfen irgendwas um, Justin dagegen modelt vor seiner Villa. Er präsentiert die längst ausverkaufte Kollaboration seines Labels Drew House mit Crocs: knallgelb, mit bunten Steckern dran – stinknormale Gartenschlappen halt. Und trotzdem wollten die ja offensichtlich alle. Verlieren wir langsam den Verstand?
Aber Zahlen lügen bekanntlich nicht. Nach Veröffentlichung der Zusammenarbeit schnellte bei der Modesuchmaschine Lyst die Nachfrage nach Crocs schlagartig in die Höhe und stieg im Vergleich zur Vorwoche um 89%. Vermeintlich schlechter Geschmack schockiert niemanden mehr, er ist schlicht selbstverständlich geworden. Sind vielleicht alle einfach nur froh, dass Justin mit Drew House nach Hotelslippern nun praktischere Schuhe anbietet? In Kombination mit Socken fügen die sich ganz zwanglos in die psychedelisch-aufgeladene Abhäng-Atmosphäre des Streetwear-Brands aus L.A. ein. Justins Crew skatet entweder wild and free durch ihre Hood oder chillt am Pool. Immer latent gelangweilt, wie es sich für richtig coole junge Menschen eben gehört. Ja, man nimmt ihnen die Crocs ab.
Jetzt, wo ein neuer Lockdown oder zumindest ein nationaler Slowdown droht, ist Abhängen Standard. Und Crocs sind Zeitgeist.
Good Vibes only mit der Ikone der Pandemie
Zeitgeist muss nicht immer schön sein. Justin Bieber vermarktet mit Drew House den überdimensionalen Smiley. Heute wirkt der fast ironisch. Wie ein irre lächelnder Clown. Was bleibt einem auch anderes übrig? Wer über Crocs gelacht hat, ist dazu heute zu müde. Schon klar, Crocs sind keineswegs klassisch schön. Aber wer bestimmt schon, was schön ist? Ist hässlich nicht schon lang das neue Schön? Seit Jahren reiten wir auf der «Ugly Fashion» herum – aber hören nicht auf, ihre Welle zu reiten. Um die wievielte es sich in diesem Fall handelt, weiss inzwischen keiner mehr so genau.
In Zeiten der Unruhe würde uns der Bad Taste erden, genau das sei der mögliche Grund für den fulminanten Aufstieg, hiess es schon vor Jahren. Jetzt: Pandemie. Das Wasser steht uns bis zum Hals und wir mit wasserfesten Schuhen mittendrin. Seltsamkeit zum Anziehen holt uns auf den Boden der Tatsachen zurück. Bei der aktuellen Unsicherheit überrascht es nicht, dass wir uns freiwillig für Hypes entscheiden, die uns die tröstende Behaglichkeit geben, nach der wir uns so sehnen. Genug Fake. Genug Perfektion. Hauptsache komfortabel ans Ziel schlurfen.
Scandi-Candy aus Gummi
Das kraftlose Auge hat sich also an die knallbunten Garten-Boote gewöhnt. Dass die neben den rastlosen Füssen eines verwirrten Popstars aber auch an denen stilführender Influencer stecken, verwundert nicht. Denn vor allem die skandinavischen Knallbonbons schaffen es, Crocs richtig gut aussehen zu lassen. Die Vorarbeit wurde durch bequeme Dad Sneaker und Wandersandalen geleistet – jetzt wurschteln die Scandi Girls vermeintlich zu Hause rum, gehen kurz ’nen Kaffee ums Eck trinken oder entspannen in der Natur. Total unprätentiös. Total down to earth. Mit Gummisohlen für rund 50 Franken.
Scrollen und inspirieren lassen. Zu Ende ist der Ugly-Fashion-Exkurs dabei noch lange nicht.
Next Episode: Die Winter-Crocs von Bottega Veneta
Wer nun erleichtert dachte, der reissende Absatz längst etablierter Gummisandalen würde lediglich das inakzeptable Jahr 2020 widerspiegeln, der muss nun noch mal ganz stark sein: Das italienische Luxushaus Bottega Veneta schafft Begehrlichkeiten, von denen wir nie wussten, dass sie uns je umtreiben würden. Zerknautschte und zerknüllte Taschen, üppig ausgepolsterte Heels und schwere, dick-besohlte Boots – der Hype bricht nicht ab. Was man für den Winter ins Haifischbecken der Trends warf, sind klumpige Stiefel wie allumfassende Crocs – nur für etwa zehnmal mehr Geld. Wie eine fleischige Zwergennase aus Gummi. Wir reden vom «Puddle Boot» für Huddelwetter und Insta-Posts. Lasset euch von Bottega Veneta erden. Amen. Super-Dänin Pernille Teisbaek ist ihm schon verfallen.
Endstation Zehentrenner
Während der grelle Puddle Boot aus dem Bottega-Veneta-Schaufenster der spiessigen Zürcher Bahnhofstrasse strahlt und exklusive Fashion Victims anwerben soll, treibt sich Balenciagas neuester Coup im Netz herum. Kreativdirektor Demna Gvasalia, dessen gesamte Untergrund-Ästhetik in etwa der von Crocs entspricht, hat in Kollaboration mit dem Zehenschuh-Hersteller Vibram Stiefel und Snaeker mit ... ja fünf funktionalen Zehen gelauncht. Und zack! Eine Gefühlsregung! Ein kleiner Schock! Ist der Schuh ugly? Sehr? Hässlicher als Crocs? Auf die habt ihr inzwischen auch ein bisschen Lust? Hmm. Mit 2021 kommt vielleicht wieder alles anders. Besser. Schöner.