Seit 35 Jahren hatte Karl Lagerfeld Chanel fest im Griff. Inzwischen ist der Mann mit dem charakteristischen, weissen Pferdeschwanz nicht mehr. Laut Berichten französischer Medien ist Karl Lagerfeld im Alter von 85 Jahren gestorben. Ganz leise abgetreten. Ohne Pomp und grossen Auftritt. Einfach so.
Die Mode-Welt spekulierte, warf Kandidaten ins Rennen, philosophierte über mögliche Nachfolger. Wie Chanel nun bestätigte, übernimmt Virginie Viard das Zepter - ihres Zeichens Direktorin des Fashion Creation Studios von Chanel und Lagerfelds engste Vertraute und Mitarbeiterin seit 30 Jahren. Doch noch überwiegt der Schock. Denn eine Welt ohne Karl Lagerfeld kann sich kaum jemand vorstellen. Jetzt hat die Realität den Mythos eingeholt. Und die Welt muss ohne ihn. Den grandiosen Schöpfer, den Visionär, der ganze Generationen mit seinen Ideen und seiner schrulligen Art begeisterte und irritierte.
Doch das Ereignis, das alle irgendwie erwarteten und keiner so richtig aussprechen wollte, ist eingetreten. Der Modepapst, Modezar, Papa von Choupette ist von uns gegangen. Schon am 22. Januar war vielen klar. Karl Lagerfeld geht es nicht gut. Erstmals blieb er einer Haute Couture Show fern.
Es lag in der Luft
Die 2019er Frühjahr/Sommer-Kollektion war so umwerfend, wie man es aus dem Hause Chanel gewohnt ist, die Kulisse im Grand Palais wie immer atemberaubend. Zuletzt schreitet «die Braut» durch den extra angelegten Garten mit Pool. Die Gäste erwarten nur etwas: Der Maestro nimmt die Braut in Empfang, lässt sich und seine Entwürfe feiern, dann folgt das grosse Finale. Aber es kommt ganz anders. Die Braut und ihr Badeanzug verschwinden hinter den Kulissen. Kein Karl, kein Winken. Ähm … Moment! Als wäre nichts gewesen strömen alle Models noch einmal durch den Garten der «Villa Chanel», das verwirrte Publikum beklatscht jeden einzelnen Look und wartet gespannt – irgendwo muss er doch auftauchen. Macht er aber nicht. Finale vorbei, Show vorbei, immer noch kein Karl Lagerfeld.
Der Schöpfer war erschöpft
Erschöpfung sei der Grund seiner Abwesenheit, hiess es später in der offiziellen Stellungnahme des Hauses.
Karl Lagerfeld selbst dementierte Rücktritts-Gerüchte gerne. Chanel sei eine Lebensstelle. Dieses traurige Statement hat sich nun bewahrheitet. Gibt es Chanel ohne Lagerfeld überhaupt noch? In vielen Köpfen nicht. Zu sehr hat der gebürtige Hamburger seit 1983 das Gesicht des Traditionshauses geformt, neu definiert und geprägt. Seine Handschrift ist überall zu lesen.
Denn Lagerfeld war längst mehr als ein Designer. Er war das Mastermind, das der Firma nach dem Tod von Coco Chanel 1971 wieder eine Identität verpasste – besonders in Sachen Mode. Vor Karl verdiente Chanel hauptsächlich an Parfums und anderen non-fashion Produkten. Erst Lagerfeld machte Chanel auch als Fashion-Haus wieder relevant.
Die spektakulärsten Kulissen der Chanel-Shows
Aktuell kann sich deshalb kaum jemand vorstellen, dass es bei Chanel ohne Karl einfach so weiter geht. Doch noch überwiegt der Schock, einen der Grössten in der Branche zu verlieren. Die Lücke, die er hinterlässt, ist riesig. So lässt sich Alain Wertheimer, CEO von Chanel in einer Medienmitteilung zitieren: «Ich habe heute nicht nur einen Freund verloren. Wir haben alle den grossartigen, kreativen Kopf verloren, dem ich ich in den 1980er Jahren eine Carte Blanche dazu gegeben habe, den Brand neu zu erfinden.» Lagerfeld sei dank seiner Genialität, Grosszügigkeit und unvergleichlichen Intuition seiner Zeit weit voraus gewesen.