Wir packen in unseren Warenkorb: Wattestäbchen mit Papier-Stiel, wiederverwendbare Abschminkpads und Trinkröhrli aus Edelstahl. Beim Bezahlen an der Kasse zücken wir unseren Geldbeutel vom Flohmarkt aus der Secondhand-Tasche – die passt so schön zum nass-glänzenden Trenchcoat aus Lackleder. Spürt ihr die Ironie?
Das oben beschriebene Szenario ist leider längst nicht so überspitzt dargestellt, wie es sein sollte. Mäntel, Jacken, Hosen und Schuhe aus PVC und Lackleder liegen aktuell im Trend, und zwar so richtig. Während der vergangenen Fashion Weeks waren die Teile in gefühlt jedem Street Style das Key Piece und während sich ein Teil der Designer damit rühmte, auf Nachhaltigkeit und recycelte Materialien zu setzen, wurde der andere für seine plastik-beschichteten Entwürfe gefeiert.
Das Label Courrèges etwa wurde vor vielen Jahren durch seine Vinyl-Designs berühmt. Vor einem Jahr verkündete es dann das Ende der Plastik-Ära – und setzt nun, 2019, doch wieder auf das Altbewährte. Eine kleine Neuerung gibt es allerdings: Das Designteam setzt auf ein Material, das auf Algenbasis hergestellt wird und dadurch zehnmal weniger Kunststoff verbraucht. Dass die «I Don’t Care»-Haltung heute nicht mehr ganz so hip ist, ist auch den Marketingverantwortlichen der Brands aufgefallen. Für das neue Öko-Plastik applaudiert man wieder gern. Darüber, dass «zehnmal weniger Kunststoff» ganz klar impliziert, dass weiterhin Plastik benötigt wird, sieht man bereitwillig hinweg. Auch wir können uns da nicht rausnehmen. Denn das glänzende Material fasziniert. Vor wenigen Saisons konnte höchstens Trinity höchstpersönlich im Lackleder-Trenchcoat auf die Strasse gehen – nun wird uns diese Freude endlich allen zuteil.
Pro Trend – Kontra Umwelt?
Was also tun? Zugunsten der Fashionability einfach auf das Wohl der Umwelt verzichten? Das ist natürlich der falsche Weg. Wichtig ist vor allem, dass wir uns über unseren Konsum bewusst werden. Ein Vinyl-Trenchcoat, den wir fünf Jahre tragen und der vielleicht sogar aus Material auf Algenbasis gefertigt ist, fügt unserer Umwelt weniger Leid zu als die 12 weissen Baumwoll-T-Shirts zu Dumpingpreisen, die wir in dieser Zeit verbrauchen und entsorgen (und mal ehrlich, das ist noch tief gestapelt). Dennoch ist die Umweltbilanz eine schlechtere als die vom Vintage-Mantel aus dem Secondhand-Store. Wiederum könnte im gleichen Store auch einmal euer Exemplar landen, wenn ihr ihm gut Sorge tragt – es ist eben ein Geben und Nehmen. Wir wollen niemandem Vinyl oder Lackleder verbieten oder davon abraten. Wenn jeder von uns ab jetzt bei jedem Kauf kurz reflektiert und die Umwelt beim Thema Fashion nicht ganz aus dem Gewissen streicht, ist schon viel erreicht. Dann landet das Lackleder-Kleid am Ende auch nicht in den Weltmeeren, sondern erlebt bei einem anderen Besitzer seinen zweiten Frühling.