Nach ganz oben ist es ein langer Weg. Das kriegt Joel Basman allein dann zu spüren, wenn er die steile, enge Treppe zu seiner Dachwohnung hochsteigt. Mitten in der Zürcher Altstadt hat sich der Schauspieler zum ersten Mal allein einquartiert. An einem sonnigen Samstagmorgen öffnet er uns die Türen zu seinem kleinen Reich. Der Duft lässt eine Party am Vorabend vermuten – frische Gipfeli hat der 23-Jährige trotzdem schon besorgt.
SI Style: Sie drehten 2012 fünf Filme, dieses Jahr zählt man bereits vier, jetzt stellen Sie Ihre Modekollektion vor. Sind Sie unterbeschäftigt?
Joel Basman: Nein, eigentlich nicht. Aber nach fünf Jahren Planung war es nun endlich Zeit, die Sache anzupacken.
Die öffentliche Begeisterung für Promis, die sich in der Mode versuchen, hält sich ja oft in Grenzen.
Absolut. Ohne meinen Background hätte ich das auch nie gemacht. Meine Eltern sind Schneider, und ich bin in ihrem Laden gross geworden, das Thema Mode hat mich stetig begleitet. Ich werde jetzt aber nicht auch noch ein Parfum oder eine Single rausbringen, ich will die Leute ja nicht belästigen.
Welche Vision steckt hinter der Kollektion?
Individualität. Jeder kann sich aus den Prototypen sein eigenes Teil machen lassen, etwa den Stoff wählen. In Zürich sieht man heutzutage nur noch Schwarz und Blau an den Beinen. Klar, geht ein Banker nicht im gelben Anzug zur Arbeit, aber hey, wieso eigentlich nicht? Ich möchte Gegensteuer geben zu diesem Einheitsbrei in der Stadt. Meine grauen Jeans sind ein gutes Beispiel dafür: Sie sind eigentlich schwarz, wurden aber verkehrt herum verarbeitet.
Wie rechtfertigen Sie den Preis von 500 Franken für eine solche Hose?
Mit garantierter Qualität und der lokalen Produktion unter besten Bedingungen. «Made in Taiwan» wird es bei uns nie geben. Ich erwarte nicht, dass Leute meine Sachen kaufen, weil sie politisch korrekt sind, sondern weil sie ein Bewusstsein für gute Qualität haben und Freude an meinem Design.
Haben Sie sich auch selbst an die Nähmaschine gesetzt?
Nein, das wäre eine ganz schlechte Idee gewesen! Obwohl, ich kann nähen.
Sind Sie eitel?
Das Ding ist: Ich kann über relativ wenig selbst bestimmen. Ich darf weder an meinem Bart rumschnipseln noch meinen Haarschnitt verändern. Über mein Aussehen entscheiden jeweils die Regisseure. Dasselbe gilt für meinen Body: Ich mache Thai-Boxen, um fit zu sein, muss aber immer etwa bei meinem natürlichen Gewicht und bei meiner Statur bleiben. Grosse Schwankungen würden mich in meinen Rollen einschränken. Ich musste an Eitelkeit also einiges ablegen, beziehungsweise ich konnte sie gar nicht erst entwickeln (schmunzelt).
Was müsste frau bei einem Date mit Ihnen tragen?
Scheissegal.
Das ist bestimmt eine Lüge!
Klar ist das eine Lüge! (Lacht.) Also im Ernst: Die Hauptsache ist, dass sie sich wohlfühlt in ihren Kleidern und ausstrahlt, dass sie sich von niemandem dreinreden lässt. Ich mag Originalität; wenn ich mich frage, was sie zu Hause sonst noch im Kleiderschrank hat, umso besser.
Sind Sie Single?
Ja.
Ihre Ex-Freundin soll Sie wegen Untreue verlassen haben.
Das ist eine lange Geschichte … Nur: Bis dahin war es ein weiter Weg, und für eine Trennung braucht es immer zwei.
Schauspieler, Designer: Alles keine profitablen Berufe, wenn man nur im Mittelfeld spielt. Wie viel verdienen Sie?
(Lacht.) Ich habe kürzlich irgendwo gelesen, ich würde pro Tag 3000 Franken verdienen. Keine Ahnung, wie man auf diese Zahl gekommen ist. Ich verdiene mein Geld klar mit der Schauspielerei. Meine Kollektion haben mir meine Eltern ermöglicht, schliesslich bezahle ich weder den Laden noch das Personal. Wir haben eintausend «Joel Basman»-Etiketten bestellt. Wenn die weg sind, dann ist es gut.
Sie haben eine kleine Rolle im Film «The Monuments Men» ergattert, in dem George Clooney Regie führt. Wie haben Sie das geschafft?
Man hat mich zum Casting gerufen, ohne zu sagen, worum es eigentlich geht. Ich ging hin, drehte die Szene. Am nächsten Tag erhielt ich den nächsten Anruf – ich müsse nach Babelsberg, Clooney wolle mich treffen. Ich ass also eine Banane, putzte mir die Zähne und fuhr dorthin.
Wie haben Sie sich am Set gefühlt?
Es waren schliesslich Matt Damon, Bill Murray, Cate Blanchett da. Es war surreal. Als ich am Set ankam, fuhr Bill Murray mit dem Velo an mir vorbei, und John Goodman spielte Boccia. Dann hiess es plötzlich «Joel! Joel!», und George Clooney stand hinter mir. Er sagte: «Hey, nice that you’re here!» Nur schade, war meine Szene nach einem Tag abgedreht!
Ihr Vater ist jüdisch, Sie sprechen Hebräisch und reisen einmal im Jahr nach Israel. In «The Monuments Men» spielen Sie zum zweiten Mal einen Nazi. Wie schwer fällt Ihnen dieser radikale Rollentausch?
Gar nicht schwer. Das einzig menschlich Schwierige war, permanent von Hakenkreuzen umgeben zu sein.
Und was hält Ihr Vater davon?
Er findet es makabererweise recht lustig. Es ist doch paradox, dass mich viele eher als Nazi sehen denn als Jude.
Was hat Sie beim Dreh mit den Grossen beeindruckt?
Ihre Wachsamkeit. Sie können witzeln und rumschäkern und einen total unvorbereiteten Anschein machen, aber auf Knopfdruck präsent sein und abliefern. Da sitzt alles. Sie stehen nicht umsonst an dem Punkt, wo sie sind – ganz oben. Und sie sind unglaublich aufmerksam: Als ich meine Szene abgedreht hatte, klatschte Bill Murray in die Hände und rief: «Joel, that’s a wrap.» Das ist eigentlich üblich beim Drehen, aber bei einer so kurzen Szene wie meiner hätte ich das niemals erwartet.
Welches Kleidungsstück würden Sie George Clooney auf den Leib schneidern?
Ich würde ihn in einem dunklen Nadelstreifenanzug aus meiner Kollektion sehen.
Sie ziehen es vor, böse Buben zu spielen. Haben Sie so viel Negatives in sich drin, das rausmuss?
Das hat doch jeder in sich. Aber man sagt nicht umsonst, Schauspielerei sei Selbsttherapie … Die einen lassen es eben so raus, die anderen anders. Aber ich liebe Filme, die nahe an der Realität sind und mich zum Nachdenken bringen: Könnte mein Nachbar ein Gewalttäter sein? Bin ich schon mal an einem Auto vorbeigelaufen, in dem ein Entführer sass? Nicht gerade Fragen, die man sich vor dem Einschlafen stellen möchte.Ich kann damit aber tief in unterschiedliche Psychen eintauchen. Mich faszinieren menschliche Abgründe und das Zusammenspiel von Gut und Böse: Wann, wie und wodurch werden bestimmte Funktionen aktiviert?
Amokläufer, Terrorist, Gefängnisinsasse: Diese Rollen gehen an die Substanz, oder?
Auf jeden Fall. Ich kann auch nicht immer gut damit abschliessen. Nach einem Dreh kam es auch schon vor, dass ich Wutausbrüche hatte, nur weil ich meinen Koffer das Treppenhaus hochschleppte und mein Handy gleichzeitig klingelte.
Sie gehen viermal im Monat nach Berlin. Was vermissen Sie dann an Zürich?
Das Essen. Die Lebensqualität. Ich brauche das Ruhige, Reine, Sichere, um runterzukommen. Die Schweiz ist mit nichts vergleichbar. Umgekehrt vermisse ich hier das Dreckige, das Grosse, das Weite. Berlin ist wunderschön kaputt.
Was tun Sie als Erstes, wenn Sie nach Hause kommen?
Wenn ich am HB ankomme, nehme ich einen tiefen Atemzug von der Zürcher Luft. Und wenn ich der Limmat entlang nach Hause laufe, bleibe ich auf der Brücke stehen und schaue mir das Panorama an.
Wonach sind Sie hungrig?
Nach Fleisch.
Und sonst?
(Überlegt lange.) Unabhängigkeit. Künstlerische und persönliche Unabhängigkeit. Ich will sagen können: «So, jetzt drehen wir diesen Film, und jetzt machen wir diesen Clip.» Ich will mich komplett frei bewegen können. Selbst wenn ich die Möglichkeit hätte, ein Album aufzunehmen; nur um euch zu nerven, würde ich es machen. Fertig.
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