Die #FreeTheNipple-Bewegung rollt seit längerer Zeit durch Social-Media-Accounts von Menschen, mit Brüsten. Auch der #NoBra-Hashtag ist nicht mehr ganz neu. Doch wie das so ist mit manchen Trends: Im Mainstream – zu denen vermutlich freiwillig (oder unfreiwillig) rund 96 Prozent der Menschen gehören – kommen manche Dinge etwas später an. Manchmal auch nur mit Druck von Aussen.
Druck gab es anno 2020 weiss Gott genug und im Lockdown in der ersten Jahreshälfte haben sich einige Menschen oben rum etwas mehr Freiheiten als üblich gegönnt – sie haben ihre BHs ausgezogen. Und womöglich haben sie festgestellt: Es tun sich weder die Tore zur Hölle auf, noch fegen sie plötzlich den Boden mit ihrer mirakulös und spontan erschlafften Brustmuskulatur auf.
Was nun passiert, ist trotzdem faszinierend. Wenn Frauen ein bisschen öfter keinen BH tragen, heisst das «Bewegung» oder feministisches Statement. Es wird sich echauffiert, gewarnt und gefeiert – und deshalb ists Zeit, mal ein bisschen aufzuräumen. Voilà – 5-Gedanken zur No-Bra-Bewegung:
Das ist vermutlich eine ziemlich individuelle Fragestellung. Natürlich war (und ist?) es so, dass die weibliche Brust historisch ein ziemlich sexualisiertes Körpermerkmal ist. In den 1850er-Jahren klemmten sich Ärzte zusammen mit frühen Feministinnen hinter die Erfindung einer Korsett-Alternative. Dies vor allem aus medizinischen Gründen. Korsette verursachten Gesundheitsschäden. So entstand der BH. Der stützte trotzdem, war der inneren Organverteilung ihrer Trägerinnen jedoch freundlicher gesinnt. Das heisst: Der BH war damals ein feministisches Symbol. Etwa 100 Jahre später hatte sich der Wind gedreht und Frauen verbrannten ihre Stützwäsche anlässlich der Miss-America-Wahl im Kollektiv. Der BH war nun ein antifeministisches Symbol. Die Geschichte zeigt also – wir müssen ein bisschen differenzieren. Und vielleicht zur Abwechslung auf uns selbst hören: Wem der lose Lockdown-Look angenehmer ist? Go for it. Wer lieber BH trägt – go for it. Gleichstellungs-Debatten finden nicht ausschliesslich in der Wäscheschublade statt.
Auch hier gilt – differenzieren. Nur wegen des Verzichts auf einen BH hängt da nichts spontan. Dass das Bindegewebe mit zunehmendem Alter (oder nach Gewichtsverlust oder Schwangerschaft) schlaffer wird, ist ganz normal und natürlich. Weitere Faktoren können die Spannkraft beeinflussen. Wir sind wieder beim – Achtung – Differenzieren. So sind grössere Brüste schwerer als kleinere. «Durch diese starke Belastung verliert das Stützgewebe deutlich schneller an Spannkraft als bei leichteren Brüsten», erklärte es Professor Christain Schem vom Mammazentrum in Hamburg gegenüber Women’s Health. Auch die Gendisposition und der Lebensstil tragen zur Spannkraft der Brüste bei. Das heisst: Am BH allein, ähm, hängt es nicht. Es gibt mehrere Faktoren. Womit wir wieder beim Ausgangspunkt sind. Jede muss das für sich selbst rausfinden.
Michelle Obama wurde einst gefragt, ob der Auszug aus dem Weissen Haus sich genauso erleichternd anfühlte, wie wenn sie abends ihren BH auszieht. Abgesehen davon, dass die Frage etwas, nun, schwierig ist, bringt sie doch ein Dilemma der heutigen Zeit auf den Punkt. Wieso gehen eigentlich so viele Menschen per se davon aus, dass sich Frauen von ihren BHs eingeklemmt fühlen? Es gibt Frauen, denen geht es ohne schlechter. Es kann durchaus schmerzhaft sein, ohne BH durchs Leben zu gehen. Häufiger bei grossen Brüsten. Selbst wenn es nicht weh tut: Es ist nicht allen Frauen gleich angenehm, angeglotzt zu werden. Und selbst heute können sich BHlose Passantinnen nicht immer vor unangenehmen Blicken schützen - da liegt noch viel Arbeit vor uns. Dass da nicht alle drauf Bock haben? Irgendwie verständlich. Selbst wenn uns allen klar ist, dass das mit dem Glotzen ganz und gar nicht geht. Befreiung hat also viele Gesichter: Für manche ist es das Ablegen des BHs, für andere das Anziehen desselben. No Pressure hier.
Es gibt Menschen, die behaupten, dass BHs Brustkrebs verursachen. Das ist Blödsinn. Wichtig ist aber: Das Teil muss gut sitzen. Also besser einmal mehr zum Ausmessen und Anpassen gehen, als einmal zu wenig. Insbesondere Sport-BHs dürfen nicht zu eng sitzen und müssen den Schweiss gut absorbieren. Sonst droht eine Pilzinfektion. Den BH sicherheitshalber lieber gleich ganz weglassen? Nun. Wir verweisen auf Punkt 3.
Da gehen die Meinungen vermutlich auseinander. Deshalb nähern wir uns der Fragestellung nun ganz pragmatisch: Eigene Entscheidungen für oder über den eigenen Körper zu treffen, ist niemals antifeministisch. Wer sich für den Weg entscheidet, der sich angenehmer und besser anfühlt, der soll sich nicht von No-Bra-Trends unter Druck gesetzt fühlen – und soll auch weiterhin für Zoom-Calls und Google-Hangouts einen BH anziehen. Wer sich wohl fühlt ohne? Auch voll ok. Jeans, die zwicken, haben wir ja auch längst durch Jogging-Hosen ersetzt. Und deshalb lassen wir die Arbeit doch auch nicht hängen.