Gleichzeitig mit der Fashion Week schlich sich am 21. Februar auch der Coronavirus nach Italien. Verunsicherung auf den Strassen, frühere Abreisen, leere Fashion Shows und speziell designte Atemmasken – die ersten (absurden) Auswirkungen waren sofort spürbar. Mittlerweile ist aber klar: Für die Modeindustrie war das gerade mal der Anfang. Sie wird den Virus länger zu spüren bekommen, als er tatsächlich unter uns weilt.
Die Konsumstimmung im Keller
«Die Corona-Krise ist in erster Linie eine Wirtschaftskrise», gibt Wirtschaftspsychologe Prof. Dr. Christian Fichter zu bedenken. Was er damit meint? Nun, die etwa 1000 chinesischen Modeeinkäufer, die nach Schätzungen von Fashion United allein in Paris gefehlt haben, machen sich langsam aber sicher bemerkbar. Und sie waren nicht die einzigen, die ihre Trips an die Fashion Weeks sicherheitshalber absagten.
Das Problem dabei: Stoffe, Schnitte und Muster lassen sich im echten Leben besser beurteilen als über ein Foto im PDF-Lookbook. Generell wird mit Modeeinkäufen vorsichtiger umgegangen als üblich. Kleinere Mengen, weniger Ausgefallenes – denn auch die Kunden werden erheblich weniger.
Der Experte kann sich das erklären: «Das Konsumverhalten von Menschen hat verschiedene Motive in allen Bereichen des Lebens. Und das Motiv, um Mode zu kaufen – sich zu zeigen, etwas für den Ausgang zu haben oder im Büro gut auszusehen – ist aus gegebenem Anlass im Moment nicht so wichtig. Auch die Konsumstimmung ist getrübt. Die Leute haben Angst und orientieren sich mehr in Richtung Sicherheit. Das heisst im Klartext: Weniger ausgeben, mehr sparen, so wenig wie möglich rausgehen.» Die Onlinehändler gehören dementsprechend zu den wenigen, die die Krise noch nicht so hart trifft. Doch die Stimmung ist auch hier auf dem Tiefpunkt.
Mittendrin im Börsencrash
Dazu kommt die drohende Krise an der Börse: WWD berichtet von Abstiegen von Farfetch, Burberry, Tod’s und vielen mehr – die Woche vom 28. Februar gehörte zu den schlechtesten seit der Weltfinanzkrise 2008.
Capri Holdings (zu denen etwa Michael Kors, Versace und Jimmy Choo gehören) musste bereits 150 seiner Stores in China schliessen und geht von einem Gewinnausfall von über 100 Millionen US-Dollar aus. Dass kleine Unternehmen solche Krisen ohne Kündigungen und enorme Einbussen niemals überstehen könnten – keine Frage.
Made in China
Und dann wäre da noch die Sache mit der Textilherstellung: Es ist kein Geheimnis, dass viele Modefabriken in China sitzen. 2018 kamen laut Statista 38 Prozent der weltweiten Textilexporte von dort – dem Epizentrum des Corona-Virus. Jetzt steht die Produktion still. Angestellte dürfen nach wie vor noch nicht zurück an die Arbeit. Auf lange Sicht wird das zu Problemen führen: «Zunächst einmal ist die Lieferkette ein Stück weit unterbrochen», so Fichter. «Hinzu kommt dass, sobald die Krise vorbei ist, aufgeschobene Bedürfnisse nachgeholt werden.» Powershopping wird kurzzeitig zum Volkssport – und Lieferverzögerungen und Ausfälle unausweichlich. Das werden viele Brands zu spüren bekommen.
Und wann wird alles wieder normal? «Bis sich die – aktuell weltweit betroffene – Volkswirtschaft nach dem Virus wieder erholt hat, wird es eine Weile dauern», schätzt Dr. Fichter. «Doch das Ganze ist kein Weltuntergang. Die Menschheit stand schon früher vor Krisen und hat bisher vieles meistern können. In einem oder anderthalb Jahren wird alles wieder sein wie zuvor. Einiges vielleicht sogar besser, weil wir mehr über unsere Konsumentscheidungen nachdenken.» Wenn das kein Ansporn für weniger Fast- und mehr Fair-Fashion im eigenen Leben ist, dann wissen wir auch nicht.