«Schulterfrei ist möglich», verkündete Ratspräsident Hans Stöckli (SP) gemäss TagesAnzeiger. Eine kleine Revolution sei das, schreibt die Zeitung ausserdem. Frauen dürfen im Ständerat wieder schulterfreie Kleidung tragen. Endlich wieder. Seit dem Verbot 2016. Damals – vor vier Jahren – kam es zu zwei Vorfällen. Eine Journalistin wurde des Saals verwiesen. Sie trug auffällig freie Schultern auf der Pressetribüne. Etwas später beschwerte sich der damalige Ratspräsident Raphaël Comte (FDP) darüber, dass Ständerätin Liliane Maury Pasquier (SP) ihre Schultern nicht bedeckt trug. Den Saal musste sie nicht verlassen.
Die Schulter war aber auch mal ein wirklich verboten erotisches Körperteil. Dazu müssen wir allerdings doch etwas weiter zurückreisen (weiter noch als ins Jahr 2016). Im 18. Jahrhundert war es der Frau zum Beispiel erlaubt, Ausschnitt zu zeigen, die Schulter, die musste sie bedeckt halten. In der Kirche gilt noch heute: Eine Frau mit nackten Schultern entspricht beinahe einer entblössten Frau. Schulterfreie Tops: ein angezogenes Sexversprechen.
Auf jeden Fall ein bisschen zu nackt. Ein bisschen zu zerbrechlich auch? Die Emanzipation der Frau hängt ja auch mit der Schulter zusammen. Der bedeckten, starken, versteht sich. Als Frauen in den Achtzigern damit begannen, in den Kampf um die Arbeitswelt zu ziehen, zeigten sie eine Menge Schulter. Mächtige, gepolsterte. Auch das: eine Weile her. Starke Schultern haben wir heute ohne Polster. Das veranschaulichen folgende Frauen:
Die freie Schulter hat also eine Lobby. Die müssen wir hier nicht verteidigen. Sie darf ja, wie bereits gesagt, auch in der Schweiz wieder Einzug in die Politik halten. Sie ist frei.
Irgendwie stösst die Diskussion um die verbotene und jetzt wieder legalisierte freie Schulter aber etwas auf. Warum nur? Wegen Dresscodes im Allgemeinen? Die sind schliesslich nichts Verwerfliches. Wenn man die britische Königin trifft, zum Beispiel, oder den Papst, dann gilt es als Affront, wenn man sich nicht dran hält. Dresscodes gelten schliesslich auch für Männer. Prinzipiell ist daran also nichts sexistisch. Es ist nun mal so, dass Menschen sich was anziehen, wenn sie rausgehen. Traditionell bedeckt man während diesem Prozess bestimmte Körperteile. Das stimmt.
Und wann immer man sagt, dass nackte Körperteile von Frauen mehr sexualisiert werden als die von Männern, sagt irgendwer anderes automatisch: Aber für Männer gibt es doch auch Regeln, und manchmal sogar härtere. Zum Beispiel können Frauen im Ständerat auch Röcke tragen und Männer müssen immer in lange Hosen schlüpfen. Die müssen immer Krawatten anlegen. Und Hemden.
Und da haben wir das Problem: Die unterschiedliche Härte der Dresscodes. Während diskutiert wird, wie lang ein Rock sein darf, die nackte Schulter verboten und wieder legalisiert wird, legen wir unser Augenmerk wieder einmal viel zu sehr darauf, was Frau alles zu tragen hat, kann und darf. Es wird diskutiert, wie dekorativ eine Frau denn jetzt sein darf. Und schulterfrei war eben eine Zeitlang zu dekorativ.
Also, free the Schulter! Und weiter in der Session – mit wichtigeren Dingen.
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