Das Konzept Fashion-Week gab schon immer Anlass zur Kritik. Erst war es zu exklusiv, zu elitär. Dann kamen die Influencer, und plötzlich war es nicht mehr exklusiv und elitär genug. Blogger wie Scott Schuman läuteten die Ära des Street-Styles ein, in der die Outfits der Showbesucher plötzlich wesentlich wichtiger wurden als das, was sich hinter den Absperrungen auf den Laufstegen abspielte. Die Fashion-Week wurde zum Fashion-Circus, und die Szene hatte wieder mal etwas Neues, worüber sie sich ärgern konnte.
Doch es war die Klimakrise, die den Fortbestand der rund achtzigjährigen Tradition zum ersten Mal ernsthaft zu gefährden drohte. Ist es in unserem technologischen Zeitalter denn noch nötig, Tausende von Menschen viermal im Jahr kreuz und quer durch die Welt zu fliegen? Müssen die Modehäuser sich selber und all ihre Konkurrenten denn wirklich mit jeder Show an (verschwenderischer) Extravaganz übertreffen? Und ganz abgesehen von den ökologischen Aspekten: Ist die Inszenierung wichtiger geworden als die Mode, die es zu präsentieren gilt? Haben wir komplett aus den Augen verloren, worum es hier eigentlich gehen sollte? Trotzdem: Das Konzept Fashion-Show hielt sich. Und dann kam Corona.
Die pandemiebedingten Einschränkungen von Mobilität und öffentlichem Leben führten dazu, dass die internationalen Männerschauen, Cruise- sowie Haute-Couture-Shows in Paris abgesagt werden mussten. Stattdessen luden die Modehäuser zum Live-Streaming im Internet. Manche liessen ihre Models durch leere Hallen defilieren. Andere produzierten Videos mit kunstvollen Inszenierungen. Und obwohl man sich einig war, den Trubel der Fashion-Weeks schon etwas zu vermissen, fand die Welt Gefallen an dieser neuen Art von Modeschauen. Ohne Stress, ohne Gedränge. Und ohne CO2.
Ist dies das Ende der Fashion-Weeks, wie wir sie kennen?
Wohl kaum. Während namhafte Häuser wie Gucci und Designer wie Dries van Noten oder Michael Kors die Pandemie zum Anlass nahmen, nicht nur die Präsentationsform, sondern auch den Kollektionsrhythmus grundsätzlich infrage zu stellen, haben andere sich bereits dahingehend geäussert, dass man zum alten System zurückkehren möchte – sobald es die Lage denn erlaubt. So jüngst Pietro Beccari, Chairman und CEO von Dior: «Jeder muss entscheiden, was für sein Haus das Beste ist. Aber Dior lebt seit 1947 von den Funken, der Energie von Modeschauen. Das ist unsere DNA, das ist unser Geschäft.»
Und so scheint es, als drehe sich das Hamsterrad der Modeindustrie bei einigen Brands weiter. Alle paar Monate eine neue Kollektion, alle paar Wochen eine Kollaboration, eine Kapselkollektion, ein Produktlaunch ... Die Daten für die Modewochen vom kommenden September stehen, erste Save-the-Dates für Runway-Shows wurden verschickt. Es scheint, als würden die Events zumindest in Europa in der gewohnten Form und Länge stattfinden – mit einem Grossteil des internationalen Modevolks vor Ort. Am Ende, so sagt Beccari komplett richtig, müsse jeder Designer selber entscheiden, was für sein Haus das Richtige sei. Doch erste Steine sind ins Rollen gekommen. Bleibt abzuwarten, wer sie wie weit – und vor allem wohin rollen wird.