Wer kann schon von sich sagen, von einem Oscar-Preisträger vor dem sicheren Tod gerettet worden zu sein? Sarah Spale- Bühlmann kann. In der Verfilmung von Pascal Merciers Bestseller «Nachtzug nach Lissabon» spielt sie das geheimnisvolle Mädchen, das von der Hauptfigur Raimund Gregorius (verkörpert von Jeremy Irons) vom Selbstmord abgehalten wird und ihn unabsichtlich auf den spannendsten Trip seines Lebens schickt. Als reizvolle Reise ins Ungewisse betrachtet die 32-Jährige auch ihre Karriere als Schauspielerin – und ist dabei äusserst selbstkritisch. Zu Zweifeln besteht jedoch kein Anlass. Ihr Talent zeigte sie erstmals mit neunzehn am Jungen Theater Basel, als sie im Stück «Die Schaukel» einen rotzigen Teenager mimte. Später folgten Engagements in Filmen wie «Dilemma», «Hugo Koblet – Pédaleur de charme» oder der Fernsehserie «Tag und Nacht». Die liebste Rolle der feinfühligen Actrice ist jedoch die der Mutter: «Mein Sohn Ivan hat oberste Priorität. Alles, was daneben noch Platz hat, ist ein Gewinn.»
SI Style: Wie nervös waren Sie vor Ihrer Szene mit Hollywood-Star Jeremy Irons in «Nachtzug nach Lissabon»?
Sarah Spale-Bühlmann: Nicht mehr als an anderen Drehtagen. Ich habe ihn bereits am Abend zuvor getroffen. Er ist ein sehr charmanter Mann, gibt nicht den Star. Das half mir sehr.
Was konnten Sie von ihm lernen?
Er legte mir nahe, dass ich den Rummel jetzt ausnützen und Gas geben müsse, wenn ich das mit der Schauspielerei wirklich wolle. Talent hin oder her, auch eine Nicole Kidman muss sich um ihre Jobs kümmern. Mir fällt es aber extrem schwer, mich selbst zu vermarkten. Ich habe auch noch keinen Agenten.
Warum?
Ich bin nicht der Typ, der sich hinstellt und sagt: «Hallo, hier, ich kann das!» Ich staune über Leute, die das bringen. Ich habe mich schon immer gern verkleidet und gespielt, im Schultheater hatte ich viel Spass, habe aber nie daran gedacht, das zu meinem Beruf zu machen.
Geniessen Sie Auftritte auf dem roten Teppich?
Nein. Die Premiere von «Nachtzug nach Lissabon» in Berlin fand ich sehr anstrengend. Ich reiste allein hin und war nicht darauf vorbereitet, was es bedeutet, an einer so grossen Veranstaltung teilzunehmen. Es gibt starke Hierarchien in diesem Business – ich habe mich kurzzeitig selbst verloren. Bei der Premiere in Bern war ich in Begleitung meines Mannes, dort konnte ich den Abend sehr geniessen.
Es gilt: Nur wer wirklich Biss hat, schafft es, die Schauspielerei zum Beruf zu machen.
Ich konnte von Anfang an mit Profis zusammenarbeiten. Die Leute sind auf mich zugekommen, haben mich zum Vorsprechen eingeladen. Obwohl ich mich nicht besonders um Engagements bemüht habe, hat sich trotzdem immer wieder etwas ergeben. Das empfinde ich als sehr grosses Glück.
Glauben Sie an Schicksal?
Schicksal und Zufall liegen nah beieinander. Wenn man offen ist, kommen die Chancen auf einen zu. Und wenn man genug offen ist, um Ja zu sagen, geht es immer weiter. Ich habe keine Angst vor dem, was einmal sein wird. Das ist mein Schicksal.
In Ihrem Beruf muss man stets in andere Rollen schlüpfen. Wie bleiben Sie sich selbst?
Ich habe mich noch nie in einer Figur verloren. Vielleicht, weil ich bisher eher kleine Filmrollen hatte. Es gibt ja ein Set, Requisiten, Kostüme, die einem bewusst machen, dass dies nicht das eigene Leben ist. Ich lerne vielmehr von meinen Rollen. Als ich im Theaterstück «Die Schaukel» dieses taffe Mädchen war, das der Welt unverblümt zeigte, was ihm nicht passt, habe ich mir ein Stück davon abgeschnitten.
Welche Eigenschaften zeichnen Sie aus?
Ich scheue mich nicht, Emotionen zu haben und sie sichtbar zu machen, und ich verurteile Menschen nicht für ihre Gefühle. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, und es mir schlecht geht, sage ich das. Ich kann meine Gefühle nicht gut überspielen. In der Hinsicht bin ich eine schlechte Schauspielerin!
Ihre Vorbilder?
Ich schaue mir einiges von verschiedenen Kollegen ab. Eigentliche Vorbilder habe ich keine.
Was fasziniert Sie an Ihrem Metier?
Ein Beispiel: Man ist an einem Casting eine Stunde lang in einen fremden Menschen verliebt, geht nach Hause und sieht diesen Menschen unter Umständen nie mehr. Man kreiert mit anderen eine Welt, taucht völlig ein, erlebt etwas, um es danach wieder loszulassen. Das ist grossartig.
Mit wem würden Sie gern zusammenarbeiten?
Ich würde gern einmal einen grösseren Part übernehmen, wo ich genügend Zeit und Platz habe, meine Figur zu entwickeln. Für «Nachtzug nach Lissabon» drehte ich nur drei Tage. Da bleibt kaum Gelegenheit dafür.
Wie fühlt man sich, wenn man zwar in grossen Produktionen mitwirken darf, aber doch nie der grosse Star ist?
Da ich mein Glück nicht nur von meinem Beruf abhängig mache, hält sich meine Enttäuschung darüber sehr in Grenzen. Jede Rolle, die ich bekomme, ist mehr, als ich erwarte.
Die Phasen zwischen zwei Engagements müssen zermürbend sein.
Es gab Momente, wo ich es zermürbend fand, so ausgeliefert und abhängig zu sein. Warten hemmt die Produktivität. Ich habe gemerkt, dass ich meine Tage selber füllen muss. Deshalb mache ich gerade eine Ausbildung zur Primarlehrerin.
Wie überbrücken Sie Wartezeiten am Set?
Ich habe immer ein Buch dabei, lese aber nie am Set. Ich versuche, mich auszuruhen, das klappt aber meistens auch nicht. Darum bin ich einfach am Teetrinken. Es ist schwierig, die Energie hoch zu halten, wenn man zwei Stunden wartet und seine Leistung dann auf den Punkt bringen muss.
Was lesen Sie?
Die Bücher von Pascal Mercier, schon vor dem Film. «Der Gott der kleinen Dinge» von Arundhati Roy. Auch Carlos Ruiz ZafÓn mag ich, zum Beispiel «Der Schatten des Windes».
Was liegt auf Ihrem Nachttisch?
Ich habe keinen. Neben meinem Bett liegt nur das Handy – wegen des Weckers. Ich gehe relativ spät ins Bett, und dann, um zu schlafen.
Sie sagten mal: «Vielleicht mag ich deshalb keine Keller: Ich möchte meine Sachen packen können, wenn sich etwas ergibt.» Hat Ihr Haus keinen Keller?
(Lacht.) Nein, die Imbissbude im Parterre hat ihn in Beschlag genommen. Wir haben nur einen kleinen Estrich.
Sie haben einen zweijährigen Sohn. Ist da die grosse Freiheit eingeschränkt?
Eingeschränkt schon, ja. Man muss halt eine neue Freiheit finden. Man kann auch mit Kind seine Sachen packen und gehen. Allein will man das sowieso nicht mehr.
Wie vereinbaren Sie Kind und Karriere?
Man muss Prioritäten setzen. Bei mir hat immer Ivan den Vorrang. Alles, was daneben noch Platz hat, ist ein Gewinn. Klar könnte ich auch enttäuscht sein ob vielleicht Verpasstem, doch ich bin lieber dankbar für alles, was ich habe.
Wie steht Ihr Mann zu Ihrem Job?
Er unterstützt mich zu hundert Prozent. Er kommt aus einem ganz anderen Berufsfeld, das ist sehr befruchtend. Er arbeitet als Unisportlehrer.
Können Sie von Ihrer Leidenschaft leben?
Ich allein, ja. Aber ich kann keine Familie ernähren. Ich habe schon immer nebenbei gejobbt, zurzeit stehe ich in der Kaffeebar Saint Louis im Basler Quartier St. Johann hinter dem Tresen.
Sie haben auch als Pizzakurierin gearbeitet. Ihre Lieblingspizza?
Ist mit Auberginen, Tomaten, Zwiebeln, Knoblauch, frischem Basilikum und Rohschinken belegt und selbst gemacht.
Wie definieren Sie Erfolg?
(Überlegt lange.) Wenn man etwas erreicht hat, auf das man selber stolz ist.
Sind Sie stolz auf sich?
Ich bin wahnsinnig stolz auf meinen Sohn. In anderen Bereichen fällt es mir hingegen schwer, stolz zu sein. Was meine Arbeit anbelangt, bin ich ein Mensch mit vielen Selbstzweifeln.
Ihr Traum-Part?
Ich hätte keine Angst davor, eine kernige, eckige Figur zu spielen, die die Zuschauer nicht auf Anhieb mögen. Mir gefallen Charaktere, die nicht einfach nur schön sind.
Was macht Sie glücklich?
Auf dem Velo sitzend durch den Frühling fahren. Oder das Zelt ins Auto packen und mit meinen Liebsten losziehen.