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Interview mit Sean Lennon und Charlotte Kemp Muhl

«Am Liebsten verkleiden wir uns als Hexenmeister»

Als einziges Kind von John Lennon und Yoko Ono führt man kein normales Leben. Geht gar nicht. Sean Lennon, 38, leidlich begabter Sänger, Gitarrist und Songwriter, lässt sich von seinem schweren Erbe mittlerweile nicht mehr einschüchtern. 

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Sean Lennon Charlotte Kemp Muhl

Charlotte Kemp Muhl und Sean Lennon sind GOASTT.

Getty Images

Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, dem Model Charlotte Kemp Muhl, betreibt er die Band The Ghost Of A Saber Tooth Tiger (kurz: GOASTT). Ein bisschen Ökotalk am Rande ihres Besuchs am Zürich Openair.

Charlotte, Sie haben in einem Interview mal verraten, dass sie früher jeweils zum Stück «Sinner Man» von Nina Simone Morgengymnastik gemacht haben. Wie starten Sie beide heute in den Tag?
Charlotte Kemp Muhl (CKM): Derzeit sitzen wir die ganze Zeit nur auf unseren Hintern.
Sean Lennon (SL): Glauben Sie mir, das mit den Morgenübungen ist wesentlich schwieriger, wenn man auf Tournee ist. Wir verbringen derzeit neun Stunden pro Tag im Bus. Und dann kommt man in einem Hotelzimmer an und macht sich bereit für Soundcheck und Konzert.
CKM: Manchmal machst du Yoga.
SL: Stimmt. Und dann höre ich dazu Mönchschöre.

Ziehen Sie das mit dem Yoga am Morgen wirklich durch?
SL: Nein. Es ist wirklich schwer sowas auf Tournee durchzuziehen. Wir hätten’s heute fast nicht an den Soundcheck geschafft. Hinter einem Konzert steckt sehr viel Arbeit. Und es ist nicht etwas, das dir das Gefühl vermittelt morgens aufstehen zu wollen. 
C
KM: Wir waren seit sechs Jahren nicht mehr in einem Fitnesscenter.

Gibt es trotzdem Dinge, die bei Ihnen fester Bestandteil eines jeden Tagesablaufs sind?
SL: Ein bisschen Springseilen. Und Zeitungen lesen. Ansonsten gibt es keinen festen Tagesablauf.
CKM: Wir lieben den News- und den Wissenschaftssender. 
SL: Ich schaue mir Satellitenbilder von der Sonne an und zähle die Sonnenflecken. Je mehr Sonnenflecken, desto mehr Sonnenaktivität. Ausserdem gibt es eine Korrelation zwischen der magnetischen Heliosphäre der Sonne, der Magnetosphäre der Erde und Erdbeben. Man kann also Erdbeben voraussagen, wenn man die Aktivitäten auf der Sonne im Auge behält. 

Wie sehen Ihre Tage aus, wenn Sie an einem Album wie «Midnight Sun» arbeiten?
SL: Lustig, dass Sie uns nach unseren Alltagsstrukturen befragen. Ich habe Charlotte gerade vorher davon erzählt, dass die Schweizer einen sehr grossen Wert auf feste Abläufe legen. Ich bin ja hier in der Schweiz zur Schule gegangen, darum weiss ich das. Wir hingegen sind wild und chaotisch. Unser Leben ist unvorhersehbar.
CKM: Wir nehmen eigentlich alles nachts auf und bleiben wach bis die Sonne aufgeht. Dann schlafen wir den halben Tag, stehen auf und machen weiter. 
SL: Wir ziehen das meistens an einem Stück durch. Das wäre gross anders auch gar nicht möglich. Sie hat sehr viele Modeljobs, ich habe noch etliche andere Projekte. 

Was steht denn an erster Stelle? Die Modelkarriere, das Label, die anderen Aufträge oder die gemeinsame Band?
SL: Ich bin nicht sicher, ob wir uns da einig sind (schmunzelt).
CKM: Die Band steht an erster Stelle. Und dann das Label.
SL: Für mich steht Charlotte an erster Stelle, aber für sie die Arbeit. Wir haben da leider eine etwas andere Einstellung...
CKM: Er ist ein Hippie. Ihm ist die Beziehung wichtiger als die Arbeit. Mir geht es nur um die Arbeit (lacht)! Nein, natürlich nicht!

Wie entstehen GOASTT-Songs?
SL: Das hat sich stark verändert im Laufe der Zeit. Früher sassen wir jede Nacht im Bett und haben Songs geschrieben. Mittlerweile schreiben wir die Songs mehrheitlich im Studio. Ganz einfach, weil die Songs, die uns am besten gefallen aus dem freien Spiel heraus entstanden sind. 
CKM: Er am Schlagzeug, ich am Bass. 

Kein Konzept?
SL: Das Konzept hiess schlicht und einfach: Mehr Groove!
CKM: Ja, wir wollten das Rhythmische akzentuieren.
SL: Wenn man im Bett sitzt und Gitarre spielt, dann geht man von der Melodie aus, nicht vom Rhythmus.

Was haben die Lennons bloss mit Musik machen im Bett?
(beide lachen)
SL: Das machen ja nicht nur die Lennons! Generell machen es die Leute gern im Bett.
CKM: Die Lennons sind einfach Hippies!

Ursprünglich haben Sie einen HipHop-Background. Sie veröffentlichten früher auf Grand Royal, dem Label der Beastie Boys.
SL: Ja. Die Beastie Boys gehören auch immer noch zu meinen besten Freunden. Der Tod von MCA hat mich unendlich traurig gemacht. Ohne die Beastie Boys wäre ich heute nicht hier. Ohne sie würde ich gar nicht Musik machen.

Sie haben Sie ermutigt?
SL: Nicht nur das. Ihre Platten sind wie diejenigen der Beatles für mich. «Check Your Head» ist mein «Sergeant Pepper». 

Und «Paul’s Boutique»?
SL: Das wäre dann das Äquivalent von «Revolver». Ich weiss, es ist cooler «Paul’s Boutique» besser zu finden. Aber so cool bin ich nunmal nicht. Ich finde, auf «Check Your Head» waren sie noch besser. 

Was passierte eigentlich nach Ihrem ersten Album? Zwischen 2001 und 2006 verschwanden Sie plötzlich wieder von der Bildfläche.
SL: Ich war lange ein ganz unschuldiger Junge. Ich wuchs in einer Art Blase auf, umgeben von New Yorker Musikern. Die scherten sich nicht darum, dass ich der Sohn von John Lennon bin. Das waren alles meine Freunde: Thurston Moore, Cibo Mato, Mario C., die Beasties. Nachdem ich «Into The Sun» veröffentlicht hatte, brachen die Reaktionen der Öffentlichkeit über mich herein. JEDER befragte mich zu meinem Vater und den Beatles. Nennen Sie mich naiv, aber damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich realisierte erst dann: Mein Leben würde nie normal verlaufen. Diese Erkenntnis war deprimierend. Ich brauchte eine ganze Weile, um damit klarzukommen. 

Wie gehen Sie heute damit um, wenn Sie zu John Lennon befragt werden?
SL: Es geht gar nicht um die Fragen an sich. Es geht darum, wie jemand fragt. Die Intention und Energie, die hinter diesen Fragen steckt. Ich merke natürlich, ob mich jemand einfach aushorchen will oder ob wir ein Gespräch führen, bei dem der Künstler Sean Lennon auch ernstgenommen wird.
CKM: Du redest eigentlich sehr gerne über die Beatles!

Reden Sie auch gerne über Kleidung und Mode?
SL: Das ist zwar nicht das interessanteste Gesprächsthema der Welt, aber klar: Ich interessiere mich auch für Mode. Am Liebsten spreche ich allerdings über die schwarzen Flecken auf der Sonnenoberfläche und dass sich kaum jemand für die Auswirkungen auf die Erde interessiert. (schmunzelt)
CKM: Oh Gott... Das will NIEMAND hören, wirklich NIEMAND! (lacht)
SL: Tja, das stimmt wahrscheinlich...
CKM: Wir lieben Mode! Also fragen Sie schon.

Wo kaufen Sie Ihre Anzüge, Sean?
CKM: Mittlerweile entwirft er sie alle selber. 

Echt jetzt?
SL: Ja, ich habe ein paar Freunde, die die Anzüge für mich anfertigen. Es hat Jahre gedauert, um herauszufinden, was ich für Kleider machen möchte. Ich habe auch eine grosse Sammlung  von Vintage Sachen. In Upstate New York findet man überall problemlos viktorianische Kleidung. Das ist genau unser Ding. Mit der Band erlauben wir uns gerne modische Extravaganzen. Am Liebsten verkleiden wir uns als Hexenmeister.

Es gibt so viele tolle Fotos von euch beiden zusammen. Macht euch das Spass?
CKM: (lacht)
SL: Sie stört das nicht gross. Ich meine, es ist ihr Job. Aber ich hasse es wirklich. Echt. Die Leute fragen mich immer: «Wieso lachst du auf den Bildern nie?» – Weil man mich fotografiert! Wenn kein Fotoapparat in der Nähe ist, lache ich oft. 

Charlotte Kemp Muhl und Sean Lennon

Ein wunderschönes Paar: Charlotte Kemp Muhl und Sean Lennon.

Was ist Ihr Lieblingsmoment eines Konzerts?
SL: Normalerweise, wenn es vorbei ist. Ganz am Schluss, wenn ich von der Bühne laufe.  

Wieso?
SL: Weil ich dann das Gefühl habe, etwas geleistet zu haben. Mein Leben hat dann einen Sinn. 
CKM: Meine Lieblingsmomente sind die, in denen er herumspringt und auf den Knien rumrutscht. 
SL: Wirklich?
CKM: Ja, wirklich! Ich habe ein paar Videos von ihm gesehen, als er 19 war. Damals hat er Bass für Cibo Mato gespielt und ist regelmässig von den Boxentürmen gesprungen. 

Macht er das nicht mehr?
CKM: Schon, aber nicht mehr so wild. 
SL: Kommt ganz drauf an, was für Getränke vorher die Runde machen.
CKM: Ja, wenn er genug getrunken hat, kann er immer noch ziemlich wild sein.

Der glamouröseste Moment der Karriere von GOASTT?
SL: Wir haben noch nicht sehr viel Glamour erlebt. Unsere glamouröse Phase steht uns erst noch bevor!

Sie haben immerhin im Vorprogramm von Portishead gespielt!
CKM: Stimmt. 
SL: Ja, das hat was Glamouröses. 
CKM: Und wir waren einen Monat lang die Vorband von Beck!

Hatten Sie auch die Gelegenheit mit ihm zu spielen?
CKM: Aber ja!
SL: Beck ist ein alter Freund von uns. Ich kenne ihn seit den Neunzigern.

Der unglamouröseste Moment?
SL: Ich hab zum Glück noch nie in die Hose gemacht auf der Bühne. Aber ich gehe ungefähr 25 Mal pinkeln vor jedem Konzert. Immer wenn ich auf die Bühne sollte, muss ich pinkeln. 
CKM: Das gilt für uns beide. Ich muss auch 300 Mal aufs Klo vor jeder Show.

Können Sie sich keinen Privatjet leisten?
CKM: Wir sind eine Indieband. Wir reisen nicht mit Privatjets.
SL: Wenn es einen solarbetriebenen Jet gäbe, würde ich mir das vielleicht überlegen. 

Die wichtigste Lektion, die Sie von Ihren Eltern gelernt haben?
CKM: Die wichtigste Lektion, die ich von meinen Eltern gelernt habe, ist Disziplin. Ich stamme aus einer Militärfamilie. Mein Vater war ein Oberst bei der US Army. Die Arbeitsethik hat mich geprägt. 
SL: Ich glaube, bei mir war das Feminismus und die Erkenntnis, dass Liebe die Antwort ist. Ich weiss, dass klingt so verkürzt ziemlich blöd, aber ich glaube daran. Wirklich. Wenn man sich heute die Nachrichten anschaut, dann zählen immer noch die gleichen Botschaften: Liebe und Feminismus.

Und Musik machen im Bett.
SL: Das natürlich definitiv auch, ja. 

Von Adrian Schräder am 2. Oktober 2014 - 10:20 Uhr, aktualisiert 20. Januar 2019 - 16:55 Uhr