SI Style: Sanne, welche Farbe hat deine Seele heute?
Sanne Putseys: Weiss!
Was bedeutet weiss?
Leergeräumt, gesäubert. Wenn man den ganzen Tag Interviews gibt, hat man keine Zeit gross über sein eigenes Leben nachzudenken. Man tut einfach seine Arbeit, gibt Antworten. Ausserdem fühle ich mich in der Schweiz immer irgendwie weiss. Die Luft ist klar und frisch.
Ein weisser Antwort-Roboter?
(lacht) Es geht in die Richtung! Aber ich mache das nicht ungern. Es ist manchmal gut, wenn man nicht zu viel Zeit hat, um zu überlegen und die Dinge anzuzweifeln.
Dein neues Album heisst «Reason». Darauf finden sich die Songs «Alone», «Together» und «Sadness». Magst du Schlagwörter?
Ich mag kurze, prägnante Titel. Aber ich denke vorher nicht darüber nach, wie ich meine Songs nennen könnte. Das kommt erst ganz zum Schluss. Tatsächlich handelt «Alone» von der Einsamkeit und in «Together» geht es um die Liebe. Das mag vielleicht platt klingen, aber ich habe diese Form der Zusammengehörigkeit im letzten Jahr neu entdeckt. Deshalb der Song.
Ist dies das überwiegende Gefühl im Moment?
Ja, das ist zurzeit sehr stark.
Und wieso «Reason»?
Bevor die erste Platte erschien, mit 18, 19, war ich sehr emotional. Das Leben war eine Achterbahnfahrt. Aber als die Platte dann erschien, hat sich das gewandelt. Ich war dann plötzlich viel unterwegs, hatte Verantwortung. Ich war der Chef von zehn Leuten, die alle älter als ich waren. Jetzt habe ich einen Freund, der zwei kleine Kinder hat. Ich bin so etwas wie eine Stiefmutter. Ausserdem hat mir diese Platte viel abverlangt. Ich musste geduldig sein, meine Pläne immer wieder anpassen. Deswegen habe ich «Reason» als Titel gewählt. Er fasst zusammen, was sich bei mir getan hat.
Wie setzt du dich durch?
Mit Weiblichkeit (lacht)! Nein, ich glaube, ich bin beharrlich und behandle die Leute mit viel Respekt.
Was genau hat dir so viel abverlangt bei dieser Platte?
Der ganze Entstehungsprozess war harzig. Ich habe lange gebraucht bis ich die richtigen Mitstreiter gefunden hatte. Und als ich sie schliesslich gefunden hatte, hatten sie keine Zeit. Irgendwann bekam ich das Gefühl: Niemand will mit mir zusammenarbeiten. Das wäre aber irgendwie seltsam gewesen. Immerhin habe ich von meinem ersten Album eine Million Stück verkauft. Und so schlimm ist meine Musik ja auch nicht, oder?
Durchaus nicht! Wer waren denn diese Produzenten?
Robin Hannibal und Ludwig Göransson. Robin hat zum Beispiel Rhye und Kendrick Lamar produziert. Ludwig arbeitet mit Childish Gambino zusammen. Beide wohnen in Los Angeles.
Und die wollten nicht?
Sie wollten schon. Sie hatten aber keine Zeit. Ich habe ein Jahr gewartet. Also musste ich vernünftig sein und Ruhe bewahren.
Wie bist du mit der Situation konkret umgegangen?
Ich habe noch mehr Songs geschrieben. Schlussendlich war es die richtige Entscheidung.
Du postest immer wieder Videos, die dich bei spontanen Auftritten im öffentlichen Raum zeigen. Sehr eindrücklich war der Mitschnitt aus einem Pariser Bahnhof.
Danke! Ich mache das mehr und mehr. Sicher einmal pro Woche. An Flughäfen, an Bahnhöfen, auf belebten Plätzen.
Wie reagieren die Leute?
Unterschiedlich. Zum Teil bleiben die Leute stehen und hören zu, zum Teil erkennen sie mich, und manchmal nehmen sie mich überhaupt nicht wahr. Aber ich mag die Atmosphäre, wenn die Leute an einem vorbeilaufen.
Wenn du «Reason» singst, hört sich das nach Arbeit an.
Ja, das ist sicher so. Da muss ich alles aus mir herausholen. Wenn ich den Song singe, muss ich mich jedes Mal von neuem gegen alle Widrigkeiten durchsetzen.
Was singst du in der Badewanne?
Nichts. Ich singe nicht, wenn ich nicht muss. Das klingt vielleicht traurig, aber Singen war mein Hobby. Jetzt ist es mein Beruf. Wenn ich zuhause bin, brauche ich Ruhe.
Welches ist die wichtigste Lektion, die du von deinen Eltern mit auf den Weg bekommen hast?
Auf dem Boden zu bleiben. Aber das mussten sie mir nicht beibringen. Sie sind einfach so – und ich habe das übernommen.
Was machen deine Eltern beruflich?
Meine Mutter ist Krankenschwester, mein Vater ist mittlerweile in Rente. Was er genau gemacht hat, hab ich nie ganz begriffen. Irgendwas mit Finanzen. Total langweilig.
Denkt er das auch über deinen Job?
Nein, überhaupt nicht! Er ist mein grösster Fan.
Wann hat dich Musik zum ersten Mal richtig gefangengenommen?
Als ich Lauryn Hill gehört habe.
Haben deine Eltern dich musikalisch nicht beeinflusst?
Doch, schon auch. Sie haben zum Beispiel INXS gehört. Die gefallen mir auch.
Deine erste Erinnerung ans Musikmachen?
Als wir mit unserer Band den ersten Song geschrieben haben. Er hiess «Seize the Day». Ich war 14.
Der glamouröseste Moment deiner bisherigen Karriere?
Glamour hat für mich einen negativen Einschlag. Das klingt nach geifernden Fans, nach hellen Blitzen, nach künstlicher Aufmachung. Da fällt mir nichts ein.
Der unglamouröseste Moment deiner bisherigen Karriere?
Wenn ich mich einsinge. Ich höre mich jedes Mal an wie eine behinderte Kuh.
Das modische Highlight deiner bisherigen Karriere?
Ich habe keine Ahnung von Mode. Diese Marken sagen mir alle nichts. Aber ich war mal bei Chanel. Ich glaube, es war Chanel.
Überlegst du dir nicht, was anziehst, wenn du einen Auftritt hast?
Nein. Ich will mir über solche Sachen keine Gedanken machen.
Was ist so toll an Katzen?
(lacht) Ich habe überhaupt keine Beziehung zu Tieren. Als Kind war ich sogar allergisch auf die meisten Viecher. Hamster, Vogel, Fisch, Katze, Hund – alles nichts für mich.
Deine letzte musikalische Entdeckung?
FKA Twigs.
Die Interviewserie «A Personal Note From ...» ist ein Gemeinschaftswerk von Journalist Adrian Schräder und Fotograf Lukas Mäder. Im 2-Wochen-Rhythmus treffen sie dafür kreative Menschen aus den verschiedensten Bereichen. Den Abschluss jedes Gespräches bildet die «Personal Note»: Auf einem weissen Papier halten die Interviewten einen Gedanken handschriftlich fest.