Etwas mehr als 12 Minuten lang hält Becky Moss ihren Staubsaugerbeutel in die Kamera und inspiziert den Inhalt im Video «Disaster Clean With Me». Das ist nur eines aus der aktuell stark wachsenden YouTube-Kollektion zum Thema «Deep Cleaning». Um 50 Prozent stieg die Anzahl solcher Videos an. Influencer*innen räumen auf, putzen. Jede Ecke ihres Hauses, ihrer Wohnung, ihres Autos und so weiter – filmen das und laden es hoch.
Deep-Cleaning spreadet
Mittlerweile hat das Deep-Cleaning-Phänomen auch Tiktok infiziert und nimmt dort noch einmal groteskere Formen an. Es gibt dabei nicht wie bei YouTube Timelapse-Aufnahmen, bei denen ganze Räume aufgeräumt werden, sondern Nahaufnahmen von Ecken, wo die Sonne schon länger nicht mehr hin geschienen hat. Je ekliger die Ansichten, die dabei enthüllt werden, desto besser. Und auch: desto krasser der Vorher-Nachher-Effekt.
Videos mit dem Hashtag #Cleaning verzeichnen mittlerweile 44 Milliarden Views. Also viele. Deren Erfolg und richtig hohe Zuschauer*innenzahlen zeigen, dass im Putzen mehr steckt als nur der Spass am Ergebnis, an der Sauberkeit. Der Weg ist dabei das Ziel. Und noch befriedigender als nur zuzusehen ist es, tatsächlich auch selbst zu putzen.
Die Meditation des Putzens
Kurzer Exkurs dazu: In vielen buddhistischen Klöstern beginnt der Tagesablauf der Mönche mit gemeinsamem Putzen. Es steht für die erste Meditation des Tages. Das kann jeder nachvollziehen, der Dreck mit Hingabe entfernt. Die körperliche Arbeit hat etwas Gedankenverlorenes und gleichzeitig Tiefsystematisches.
Die schwingenden Bewegungen, die Wiederholungen, das hartnäckige Reiben allein wirken repetitiv beruhigend. Befreiend geradezu. Beim Putzen gewinnt man den Überblick und die Souveränität über seine Bleibe und seinen Alltag zurück. Ein effizientes Antidepressivum, wenn die Welt draussen immer unübersichtlicher wird. Man muss es, anders als die Mönche, nicht einmal in tiefer Stille erledigen, sondern kann Musik dabei hören – am besten laut.