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Mittelklasse

Der Abschied von Superwoman

Den ganz normalen Wahnsinn der Familienjahre durchflog unsere Bloggerin als Superfrau. In horrendem Tempo, bis zum Absturz. Jetzt, im mittleren Alter, entdeckt sie den Wert der unperfekten Version ihres Selbst.

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Sandra Casalini Blog der ganz normale Wahnsinn

Kinder, Küche, Karriere – unsere Bloggerin meisterte alles mit vermeintlicher Leichtigkeit. Bis der Sinkflug einsetzte.

Lucia Hunziker

Ich lasse mir nicht besonders gern Blumen schenken. Der Grund ist etwas seltsam, und hat mit meinem imaginären Superfrauen-Umhang zu tun. Aber dazu später.

Es ist nämlich so: Ich war lange Superwoman. Sehr lange. Zu lange. Wie ich zu diesem Umhang kam, weiss ich gar nicht genau. Warum ich so krampfhaft an ihm festhielt, hingegen schon. Weil er mich schützte. Jeden Morgen, wenn ich meinen Superwoman-Umhang überwarf, schützte er mich vor dem vernichtenden Urteil der Menschen. Solchen, die ich kannte, und solchen, die mir eigentlich egal hätten sein müssen. Die Urteile, mit denen ich mich konfrontiert sah, waren immer noch hart. Aber nicht ganz so hart, wie wenn ich ohne Umhang gekämpft hätte: «Das ist die, die glaubt, sie kann alles haben. Karriere und Kinder und Mann und Haus. Das ist schlimm. Aber sie macht all das perfekt. Arbeitet bis tief in die Nacht, damit sie am Abend Zeit für die Kinder hat. Verpasst keine Schulaufführung und kein Elterngespräch. Kocht und räumt auf und braucht niemals Zeit für sich selbst. Das machts ein bisschen besser, auch wenns immer noch schlimm ist.»

«Es kam, was kommen musste: Superwoman stürzte ab. Nicht von heute auf morgen. Langsam, fast unmerklich, setzte der Sinkflug ein»

Vor allem schützte der Umhang mich vor mir selbst. Wenn auch nicht vollständig. Mein schlechtes Gewissen war meine zweite Haut. Aber unter dem Superwoman-Kostüm war diese nicht ganz so präsent. Vor allem schützte mich das Ding davor, mir selbst zu begegnen. Denn hätte ich den Umhang mal ein bisschen gelüftet, hätte ich vielleicht um einiges früher gemerkt, als ich es tat: Da war gar niemand mehr. Da war die perfekte Angestellte, die rannte, wenn der Job rief. Die perfekte Mutter, die flog, wenn die Kinder riefen. Die perfekte Partnerin, erfolgreich, eloquent, vorzeigbar.

Da war Superwoman, die in horrendem Tempo durchs Leben flog. Es kam, was kommen musste: Superwoman stürzte ab. Nicht von heute auf morgen. Langsam, fast unmerklich, setzte der Sinkflug ein. Jedesmal, wenn Superwoman etwas falsch machte, wenn sie in ihren eigenen Augen nicht perfekt war, flog sie ein Stückchen tiefer. Und je tiefer sie flog, desto unglücklicher war sie. Und je unglücklicher sie war, desto weniger mochte Superwoman sich selbst. Und irgendwann wachte ich, Superwoman, jeden Morgen auf, und sagte mir: «Ich habe alles, wovon andere träumen. Und bin trotzdem nicht glücklich. Was bin ich nur für ein Arschloch!»

Dann kam der Crash. Der Moment, in dem ich meinen Selbsthass nicht mehr vor meinen Kindern verstecken konnte. Es war einer der härtesten in meinem Leben. Aber er zwang mich, den Superwoman-Umhang abzunehmen. Und die leere Hülle dahinter wieder zu füllen. Wie man das macht? In ganz kleinen Schritten. Zum Beispiel mit der Erkenntnis, dass ich der unperfekten Version meiner selbst wieder einen Wert geben muss. Ich begann, mir jede Woche selbst Blumen zu kaufen. Als Wertschätzung von mir an mich. Für mein Selbst-Wert-Gefühl. Vielleicht klingt das in euren Ohren blöd, aber es hat tatsächlich funktioniert. Obwohl ich mir heute längst nicht mehr selbst Blumen poste, mag ich es nicht, sie geschenkt zu bekommen. Ich empfinde es fast ein bisschen als Angriff auf meinen Selbstwert – der zum Glück nicht mehr so fragil ist, dass ihn ein paar Blumen aus dem Gleichgewicht bringen. Wenn also jemand das dringende Bedürfnis hat ...

Von SC am 10. November 2024 - 07:30 Uhr