SI Style: Iouri, was verbindest Du mit der Zahl 94,75?
Iouri Podladtchikov: Das war meine Punktzahl an den Olympischen Spielen in Sotschi. Ich sag mal so: Sie hat zum Sieg gereicht (schmunzelt).
Dir war die Freude nach dem Lauf sofort ins Gesicht geschrieben.
Ja. Ich hatte mir etwas vorgenommen, was so noch niemand gemacht hatte. Und ich habe es umgesetzt – ohne einen wirklichen Fehler. Das habe ich gespürt.
Wie lange bist Du bei einem Lauf unterwegs? Eine Minute?
Etwa eine halbe Minute.
Vier Jahre Training für 30 Sekunden!
Ja. Obwohl: Es gibt ja auch noch die Quali-Läufe. Eigentlich ist man da noch viel gestresster als im Finale. Denn dann muss man alles ins Rollen bringen.
Wie gehst Du mit Angst um?
Sie ist ein sehr wichtiger Sicherheitsfaktor. Meine Angst sorgt dafür, dass ich zweimal alles durchprüfe. Und dann stelle ich mich ihr. Denn schlussendlich lebe ich von der Überwindung. Ich muss mir selbst beweisen, dass ich Recht habe, nicht mein Angstgefühl. Genau dieser Umstand macht das Halfpipe-Fahren zu einem Extremsport.
Wie war das bei deinem Unfall Ende November? Hattest Du da Angst?
Zu wenig. Ich war leichtsinnig. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, nicht der richtige Ort, um die Höhe zu pushen. Deshalb habe ich wohl den Fuss gebrochen.
Du bist amtierender Olympiasieger in der Halfpipe – hättest Du es auch in einem anderen Bereich so weit gebracht?
Sportlich spielte ich immer vorne mit, egal was ich gemacht habe. Viele haben gesagt, ich hätte auch Skate-Pro werden können.
Trifft man auf diesem Niveau viele egoistische Entscheidungen?
Nur! Meine Arbeit ist purer Egoismus. Ich zapfe mein Umfeld an und nehme mir nur das, was ich brauchen kann. Aber: Wenn ich nicht snowboarde, bin ich das komplette Gegenteil.
Welches ist die wichtigste Lektion, die Dir deine Eltern mit auf den Weg gegeben haben?
Nie aufzugeben.
Wann hast Du realisiert, dass Du mehr Biss hast als die anderen?
Das war schon immer so. Ich kenne mich nicht ohne dieses Gefühl.
Kannst Du dich noch an den Moment erinnern, in dem Du gemerkt hast, dass Sport einen ganz besonderen Stellenwert in deinem Leben einnehmen wird?
Ja, das war so mit sieben oder acht Jahren. Zu der Zeit wohnten wir in Holland. Das Allerwichtigste für mich waren damals die kleinen Matches während den Schulpausen. Wenn du in der Pause ein schönes Tor geschossen hast, warst du in der nächsten Doppelstunde der King. Und ich war oft der King.
Was hast Du geantwortet, wenn man dich als Kind nach deinem Berufswunsch gefragt hat?
Astronaut oder Anwalt. Ich dachte immer, dass ich wegen meinem Vornamen automatisch Anwalt werden müsse. Aber interessiert hat mich die Juristerei eigentlich nie. Ziemlich schnell war dann Fussball ein grosses Thema.
Der glamouröseste Moment Deiner bisherigen Karriere?
Sotschi. Der Moment, in dem ich auf dem Podest stand und die Medaille umgehängt bekam. Vor mir war ein nicht endendes Menschenmeer.
Der unglamouröseste Moment?
Der vierte Platz an den Olympischen Winterspielen 2010 in Vancouver. Das war sowas von unglamourös.
Dein Lieblingsmoment eines jeden Contests?
Das Finale. Der Moment, in dem ich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden habe. Das flasht mich extrem.
Woher kommt das?
Früher habe ich meinem grossen Bruder immer zeigen wollen, wie gut ich war. Ich fragte ihn: «Hast du gesehen, was ich gemacht habe?» Er hat immer verneint. Jetzt sehe ich zu, dass mir das nicht mehr passiert.
Das modische Highlight deines bisherigen Lebens?
Während der Paris Fashion Week bei Akris in der ersten Reihe zu sitzen. Das war noch besser, als selber zu laufen.
Deine letzte Entdeckung in Sachen Musik?
MAM. Habe ich über Spotify entdeckt.
Hast Du ein Ritual vor den Contests?
Ja: Mein Hotelzimmer muss in perfekter Ordnung sein. Für den Fall, dass ich nicht mehr zurück komme. Klingt sehr dramatisch, aber es ist so. Ich nehme meine Aufgabe wirklich verdammt ernst.
Die Interviewserie «A Personal Note From ...» ist ein Gemeinschaftswerk von Journalist Adrian Schräder und Fotograf Lukas Mäder. Im 2-Wochen-Rhythmus treffen sie dafür kreative Menschen aus den verschiedensten Bereichen. Den Abschluss jedes Gespräches bildet die «Personal Note»: Auf einem weissen Papier halten die Interviewten einen Gedanken handschriftlich fest.