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Photoshop auf Instagram

Ist die heimliche Bildbearbeitung bald strafbar?

Gefiltert sind wir alle gleich. Auf Social Media verfügen wir über makellose Haut, einen flachen Bauch, pralle Lippen. Ob das natürlich oder via Photoshop entstand, müssen Norweger*innen mittlerweile per Gesetz deklarieren. Ob ein solcher Vorstoss auch in der Schweiz Sinn machen würde, haben wir die Schweizer Influencer*innen-Agentur Kingfluencers sowie Sara Leutenegger und Steven Epprecht von Strategy Leaders gefragt.

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Gesicht mit Filter und ohne

Gesicht mit Filter und ohne – ohne Poren und mit. Avatar versus echte Haut.

Getty Images

Norwegen geht gesetzlich gegen Fake-Fotos auf Social Media vor. Es ist nun vorgeschrieben, anzugeben, wenn man Fotos mit Photoshop oder sonst wie bearbeitet hat. Warum? Weil früher ja schon schwer genug war. Aber es war in punkto Schönheitsideale torztdem so viel leichter als heute. Während wir uns damals mit fernen Hollywood-Stars und ein paar Supermodels in Zeitschriften verglichen, sind wir nun einem nie versiegenden Bilderstrom ausgeliefert.

Algorithmen bevorzugen das Instagram Face

Du willst schön und erfolgreich sein? Dann brauchst du auf Instagram volle Lippen und glänzendes Haar, makellose Haut und harmonische Züge. Was vor ein paar Jahren mit lustigen Hundefiltern begann, dient bei vielen immer mehr zur Selbstoptimierung des digitalen Ichs. Mittlerweile gibt es nämlich Beauty-Filter, die einem eine kleinere Nase, markantere Wangenknochen, ein schmaleres Gesicht, grössere Augen, oder auch virtuell aufgespritzte Lippen zaubern. Mittlerweile setzen Bildbearbeitungs-Apps keine komplexen Photoshop-Kenntnisse mehr voraus.

Das Instagram Face ist ein Geschäftsmodell: Algorithmen bevorzugen es. Plastische Chirurgen verkaufen es. Und Influencer*innen tragen es: Die Supermodel-Schwestern Bella und Gigi Hadid oder die Schauspielerin Millie Bobby Brown. Zum Beispiel. 

Und wir wollen schön sein…

Die Latte der virutellen Schönheit liegt unerreichbar hoch. Was das ständige Vergleichen und Lechzen nach unrealistischen Standards in der analogen Welt auslösen kann, zeigen Studien: Zwei Drittel junger Menschen fühlen sich davon unter Druck gesetzt. Eine Erhebung unter britischen Teenagern hat ergeben, dass viel Social-Media-Konsum das Risiko erhöht, depressiv zu werden. Denn…

… das eigene Spiegelbild wird unerträglich

Wir sind nur in etwa 60 Prozent der Fälle in der Lage, manipulierte Bilder zu erkennen. Die übrigen gehen als echt durch, auch wenn sie bearbeitet sind. Bildbearbeitung wird online also nicht abgestraft, sondern üblicherweise regnet es Likes dafür. Als weisse, schlanke Frau mit einem Instagram-Face wird man häufiger von Instagram ausgespielt, als wenn man nicht in diese Form passt.

Das führt zu mehreren Problemen: Wer seine Bilder bearbeitet, bekommt also Bestätigung dafür und macht weiter. Wer bearbeitete Bilder sieht und sie für echt hält, bekommt ein Schönheitsbild vorgegaukelt, dass nicht echt ist. Für beide Seiten hat das negative Konsequenzen – beide Seiten eifern einem künstlichen Ideal nach. Dem will Norwegen mit dem neuen Gesetz entgegenwirken. Bearbeitete Fotos müssen klar als solche deklariert sein.

Anja Lapčević, von der Schweizer Social Media & Marketing-Agentur Kingfluencers, begrüsst «jede Initiative, die zu mehr Transparenz auf dem Markt führt. Sei es bei Influencer*innen, in der Werbung oder bei Medien allgemein». Das seien die Grundlagen für bessere gesellschaftliche Bedingungen. Besser – heisst den enormen Schönheitsdruck zu lindern, unter dem vor allem junge Frauen stehen.

Das Internet ist ausufernd

Da das norwegische Internet jedoch nicht vor Schweizer oder anderen internationalen Einflüssen gefeiht ist, könnte man meinen, das Gesetz ist erst einmal ein Tropfen, der sofort vom weichgezeichneten Stein abperlt. Vielleicht sollten also die Schweiz und der Rest der Welt Norwegens Beispiel folgen. Vielleicht brauchen wir Gesetze, um gegen Unechtes auf Social Media vorzugehen. 

«Wie will man das denn überhaupt kontrollieren?», fragen sich Steven Epprecht, seines Zeichens Influencer und zusammen mit Sara Leutenegger (auch Influencerin) die Agentur Strategy Leaders gegründet hat. Die beiden sehen das Gesetz kritisch, plädieren eher für einen liberalen Ansatz. «Es ist eigentlich eine gute Sache. Aber dennoch wird man weiterhin Fotos einer unrealistisch dünnen Frau mit einer unrealistisch makellosen Haut sehen – da steht dann einfach überall ‹bearbeitet› drunter», sagt Leutenegger.

Es brauche vielmehr Anreize dazu, mehr echtes Leben zu posten, um damit das positive Körperbewusstsein zu stärken, so Epprecht. Leutenegger: «Der Trend zu mehr Natürlichkeit muss weiter steigen.» Lapčević von Kingfluencers sieht das ähnlich. 

«Was wir in der Schweiz auf jeden Fall brauchen, sind Diskussionen zu diesem Thema, welche über das Influencer Marketing hinausgehen»

Anja Lapčević

Das Thema mit den Retouchen und den Schönheitsidealen sei schliesslich kein neues Phänomen und kein reines Social Media Problem. Sondern ein gesellschaftliches, sagt Lapčević. Social Media verstärke auf der einen Seite diese Problematik, könne gleichzeitig aber auch Teil der Lösung sein. Damit meint die CIO dass auch Themen zum Mental Health, Diversity, Body Positivity eine neue Reichweite und ihrerseits beeinflussen können.

Ein Bewusstsein zu schaffen, sei besser als Regeln – so der Konsens. Ein Bewusstsein und eine Akzeptanz zum eigenen Körper, zu seinen angeblichen Abweichungen. Norwegens Herangehensweise – so gut es auch ist, dass etwas getan wird – behandelt vielmehr die Symptome, als dass sie sich um deren Ursache kümmert. Erster Schritt. Ziel noch fern. Aber nehmen wir doch echt – zusätzlich zu den für Mental Health plädierenden Wissenschaftler*innen – die Politik mit auf den Weg. Den Rang ablaufen, tut sich vermutlich niemand.

Von Rahel Zingg am 10. Juli 2021 - 15:00 Uhr