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  4. Kolumne Mittelklasse: Zürich ist keine Stadt für Frauen im mitteleren Alter
Mittelklasse

Keine Stadt für mittelalte Frauen

Unserer Bloggerin fiel kürzlich bei einem Besuch in Bern auf, dass die Menschen anders sind als in Zürich. Und sie sich dort als normale Frau im mittleren Alter einiges wohler fühlt, auch wenn sie die Limmatstadt liebt.

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Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker

Unsere Bloggerin hat beschlossen, sich nicht mehr ganz so viele Gedanken um ihren Körper zu machen. Bisher funktionierts so halb ...

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Mein Partner und ich führen eine Wochenend-Beziehung. Er lebt in Bern, ich mit meinen erwachsenen Kindern in Zürich. Da wir bei ihm etwas mehr Privatsphäre haben – das «etwas» bezieht sich auf seine sehr neugierigen Katzen – verbringen wir die Wochenenden meist bei ihm. Kürzlich waren wir essen, und als ich mich in dem Lokal umschaute, dachte ich plötzlich: «Die sehen hier alle so normal aus.» Im positiven Sinn. Keine 50-Jährigen mit glattgebügeltem Gesicht und Superbody, keine aufgespritzten Lippen, keine falschen Wimpern, keine ultralangen Fake-Fingernägel. Kurz: ein Ort, an dem sich eine normale Frau wie ich nicht vorkommt wie ein Zombie.

Ich liebe Zürich. Ich lebe seit über 25 Jahren etwas ausserhalb der Stadt, meine Kinder sind hier aufgewachsen, es ist meine Heimat. Und es gibt kaum etwas Schöneres als ein Sommertag am See oder an der Limmat, oder der Anblick des weihnachtlich glitzernden Circus Conelli auf dem Bauschänzli. Aber seit dem ersten Tag hab ich mich hier irgendwie unter Druck setzen lassen.

«In meinem ersten Jahr in Zürich nahm ich zehn Kilo ab. Ich merkte schnell: Die Menschen reagieren anders, wenn man schlank ist.»

Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mein Aussehen war weder in meiner Kindheit noch in meiner Jugend je ein grosses Thema – höchstens mal, wenn meine Mutter selbst die Schere anlegte, um den Coiffeur zu sparen, und das Ganze ein bisschen gar kurz geriet. Als ich mit anfangs zwanzig nach Zürich zog, sah ich plötzlich überall Leute in tollen Klamotten, und Gespräche drehten sich um In-Clubs, bekannte Menschen und Diäten. Was nicht nur an der Stadt lag, sondern auch an meinem Job in den Medien. In meinem ersten Jahr in Zürich nahm ich zehn Kilo ab. Ich war vorher nicht dick, sondern einfach normal. Aber ich merkte schnell: die Menschen reagieren anders auf einen, wenn man schlank ist. Das war ich nun – und blieb es. Dank striktem Sport- und Ernährungsprogramm. Bis vor etwa drei Jahren.

Dann begann die Hormon-Achterbahn, auch bekannt als Wechseljahre. Ich konnte auf dieser blöden Chilbi-Attraktion nicht mal Luft holen zum Schreien, schon hatte ich fünfzehn Kilo zugenommen. Trotz vier- bis fünfmal Sport pro Woche. Trotz zucker- und kohlenhydratarmer Ernährung. Ich stand regelmässig vor dem Spiegel und hätte heulen können, und die Bahnhofstrasse mit all den perfekt aussehenden Zürcherinnen mied ich wie der Teufel das Weihwasser.

Auch in meinem Umfeld sahen alle immer so «züri-schön» aus. Nur ich nicht. Was unter anderem daran liegt, dass nicht wenige ihrer Schönheit mit anderen Dingen als gesunder Ernährung auf die Sprünge helfen, wie ich irgendwann herausfand. Ich habe nichts gegen Fettabsaugen, Botox und Co. Ich würde lügen, wenn ich sagte, dass ich noch nie darüber nachgedacht habe. Aber es ist doch so: Wer mich mit 15 Kilo weniger und faltenlos lieber mag als so, wie ich jetzt bin, gehört nicht in mein Leben. Und wenn ich das Gefühl habe, ich mag mich selbst dann lieber, muss ich an meinem Selbstwert arbeiten, nicht an meinem Aussehen. Oder vielleicht einfach etwas mehr Zeit in Bern verbringen. Nicht, dass es dort nicht auch schöne und schlanke Menschen gibt. Aber die Berner sind da einfach entspannter. Und finden jemanden, der sich so viele Gedanken ums Aussehen macht, wohl einfach nur «kurlig».

Von SC am 13. April 2025 - 07:30 Uhr