Zerbrechlich ist das erste Wort, das mir einfällt, als ich sie sehe. Sie wirkt fragil, wie sie mit angezogenen Beinen dasitzt, eine schlanke Gestalt auf dem grossen Luxussofa im grossen Luxushotel. Wir treffen uns im «Shangri-La» in Paris, genau beobachtet von ihrem PR-Manager, der mit gespitzten Ohren zuhört. Aufpasst, dass ich die richtigen Fragen stelle. Und sie die richtigen Antworten gibt. Heute wird das neue Parfum von Lancôme präsentiert – Idôle, die erste Duftlancierung seit sieben Jahren. Mit einem Flakon in iPhone-Form perfekt ausgerichtet auf die Generation Z. It’s a big deal, genau wie Zendaya. Mit ihr soll der Duft zum Bestseller werden, so wie damals «La Vie est Belle» mit Julia Roberts.
«No pressure», sagt die 22-Jährige schmunzelnd, auf die Riege von alten Schauspielhasen angesprochen, die seit Jahren für die französische Beautymarke vor die Kamera springen: Kate Winslet, Penélope Cruz und – eben – Julia Roberts. Zendaya mag die Jüngste der Botschafterinnen sein. Sie hatte trotzdem genügend Zeit, sich ein dickes Showbusiness-Fell zuzulegen. Wer mit 14 Jahren zum Disney-Star wird, ist mit 22 ein Vollprofi.
Disney? Yep.
Die amerikanische TV- Maschinerie spuckt über zwanzig Jahre nach Britney Spears und Justin Timberlake tatsächlich immer noch Kinderstars aus. Im Gegensatz zu den beiden begann Zendayas Karriere nicht im «Mickey Mouse Club», sondern am Set von «Shake It Up», einer Sitcom über zwei tanzende beste Freundinnen. Das war 2010. Das Jahr, als Instagram online ging. Die App, die wenig später Industrien, Karrieren und Machtverhältnisse verändern sollte. Like um Like, Follower um Follower.
Ton um Ton arbeitet Zendaya erst mal an ihrem Side-Hustle: der Musik. Als Disneysternchen ist man selbstverständlich auch mit einer guten Stimme gesegnet. 2013 veröffentlichte sie ihr Debütalbum «Zendaya». Der Mix aus Pop und Dubstep stösst auf taube Ohren und schafft es gerade mal auf den 51. Platz der amerikanischen Charts. Spiel mir das Lied vom Karrieretod? Von wegen. Die Stimme der mittlerweile 17-Jährigen wird durch den Flop nicht leiser.
Richtig laut um Zendaya wird es nach den Oscars 2015. Weil sich die Schauspielerin dazu entschliesst, mit Dreadlocks über den roten Teppich zu gehen. Den rassistischen Kommentar von «Fashion Police»-Moderatorin Giuliana Rancic, Zendayas Haare würden bestimmt nach Marihuana oder Patschuli-Öl riechen, lässt sie nicht lange auf sich sitzen. In einem Instagram-Post stellt die Amerikanerin mit nigerianischen Wurzeln klar: «Es ist ein schmaler Grat zwischen lustigen und respektlosen Aussagen. … Mein Vater, mein Bruder, meine Freunde und meine kleinen Cousins haben alle schon Dreadlocks getragen. Ich habe mich für diese Frisur entschieden, um sie in einem positiven Zusammenhang zu zeigen. Um Farbige daran zu erinnern, dass unsere Haare gut genug sind. ... Ich schlage vor, dass ihr ‹I Am Not My Hair› von India Arie hört. Und nachdenkt, bevor ihr urteilt.»
Das Mädchen hinter Disney
Ihre deutliche Stimme bringt ihr einen weiteren Eintrag im Lebenslauf: Aktivistin. Einer, der sich schon zwei Jahre vorher abzeichnet. Damals, als sie mit den Big Bosses von Disney in einem Raum sitzt und mit gerade mal 16 Jahren verlangt, Produzentin ihrer zweiten Serie «K.C. Undercover» zu werden. Verlangt, dass eine farbige Familie im Zentrum steht. Und dass ihr Hauptrollen-Charakter ultraclever und begabt in Kampfkunst ist. Um zu zeigen, dass Mädchen mehrschichtiger sind als auf dem Channel bisher porträtiert.
Das Kämpfen vor und hinter der Kamera hat sich karrieretechnisch gelohnt. Vor zwei Jahren wird sie als MJ für den Film «Spider-Man: Homecoming» gecastet. Dass ein Disney-Ziehkind eine solche Blockbuster-Rolle landet: eine Premiere. Gerade läuft der zweite Teil im Kino, und immer noch munkelt man, dass Zendaya ihrem Co-Star (und Spidey himself ) Tom Holland auch im echten Leben ins Netz gegangen sei.
Hashtag #woke
Es ist kompliziert. Auch in der neuen Teen-Drama-Serie «Euphoria», in der sie sich als drogenabhängige Rue durch den Highschool-Dschungel aus Sex mit und ohne Liebe schlängelt. Zendaya überzeugt in ihrer bisher herausforderndsten Rolle. Ihre wichtigste ist es nicht. In die schlüpft sie nämlich längst regelmässig. Nicht für Produktionen in der Pipeline, sondern für Gleichberechtigung in der Gesellschaft. Ihre durchdachte Herangehensweise erinnert an die von Beyoncé. Nachnamen haben beide nicht nötig – man weiss gleich, über wen man spricht.
Ihre Message ist laut genug: Respektiert Frauen und Schwarze. Hashtag woke. Woke was? Der Urban Dictionary erklärt: «Ein Wort, das jemanden beschreibt, der sich Themen wie Klassenfragen, Rassismus und anderen sozialen Ungerechtigkeiten bewusst ist.» Zerbrechlich? Ist höchstens das iPhone, das im «Shangri-La»-Zimmer neben ihr auf dem weichen Sofa liegt. Mit dem sie innerhalb von weniger als einer Minute rund sechzig Millionen Menschen erreichen könnte. So sieht die Macht der neuen Generation aus. Zendaya nutzt sie woke und weise.
Ein Thema, das Sie schon länger beschäftigt, ist soziale Gerechtigkeit. Was bedeutet «woke» für Sie?
Woke sein heisst, Perspektiven ausserhalb der eigenen zu verstehen. Es ist wichtig, Menschen Aufmerksamkeit zu schenken, die in der Gesellschaft weniger sichtbar sind. Dazu gehört auch, genau zu verfolgen, was auf der Welt passiert, selbst wenn einen nicht alles direkt betrifft.
Ist Hollywood in den letzen Jahren im Hinblick auf Diskriminierung aufgewacht?
Die Showbusiness-Szene ist sicher wacher geworden, aber es gibt noch viel zu tun. Wir müssen alle nach und nach die nötigen Schritte für mehr Gleichberechtigung tun. Es ist schön, zu sehen, dass sich viele junge, starke Talente an vorderster Front einsetzen, ihre Geschichte erzählen und so mehr Chancen für alle schaffen.
Gibt Social Media den Stars nur die Möglichkeit, ihre Stimme zu wichtigen Themen zu erheben, oder ist es gar eine Verantwortung, das zu tun?
Gehen wir zurück zu Spiderman: «With great power comes great responsibility.» Es bedeutet Macht, wenn so viele Menschen zu dir aufschauen und von dem beeinflusst werden, was du sagst und tust. Daraus entsteht eine Verantwortung, mit der man weise umgehen muss.
Ist es also ein Trend der Generation Z, die als oberflächlich geltenden sozialen Medien auch für Tiefgründiges zu nutzen?
Ich spüre einfach, dass meine Generation viel Hoffnung für die Zukunft hat. Es ist inspirierend und cool, das zu teilen. Hoffentlich können wir so auch Älteren und Jüngeren Mut machen.
Wer macht Ihnen Mut?
Meine Mutter und meine Grossmutter, die beide auf ihre eigene Weise starke Frauen sind. Ich habe manchmal das Gefühl, ich bin eine Fifty-fifty-Mischung aus ihnen. Vor allem, wenn ich etwas tue und dann denke: «Oh mein Gott, ich bin genau wie meine Grossmutter.» Sie sind auch meine wichtigste Fashion-Inspiration. Mein Stylist Law Roach und ich schauen uns oft alte Bilder von ihnen an. Sie waren immer perfekt angezogen, ziemlich glamourös, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Das ganze Interview mit Zendaya findet ihr in der aktuellen September-Ausgabe der Style.