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Mittelklasse

Plötzlich bin ich unsichtbar

Unserer Kolumnistin widerfährt gerade ein Schicksal, das sie mit vielen anderen Menschen mittleren Alters teilt: Sie hat das Gefühl, für die Gesellschaft unsichtbar geworden zu sein. Ist das tatsächlich so – oder hat es am Ende doch was mit ihrer eigenen Einstellung zu tun?

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Sandra Casalini, bei sich zu Hause in Thalwil, am 04.12.2018, Foto Lucian Hunziker

Klar zieht man mit Ende vierzig nicht mehr so viele Blicke auf sich wie mit Mitte zwanzig – aber total ignoriert werden ist auch nicht lustig, findet unsere Kolumnistin.

Lucia Hunziker

Ich habe nie gross etwas damit anfangen können, wenn Menschen um die fünfzig davon sprachen, dass man im mittleren Alter unsichtbar wird. Ich konnte mir das erstens, nicht vorstellen, und zweitens nichts Schlimmes daran finden. Gerade als Frau hat es doch nichts Unangenehmes, wenn einem niemand mehr in den Ausschnitt starrt oder «geiler Arsch» hinterher schreit.

Und ums gleich klarzustellen: Das vermisse ich überhaupt nicht. Denn, liebe Männer, damit dies am Rande auch wieder mal gesagt sei: Solche Dinge sind keine Komplimente, sondern Machtdemonstrationen, die nur darauf abzielen, dass sich Frauen unwohl fühlen.

Er hat durch mich hindurch gesehen 

Seit einiger Zeit passiert es mir aber immer wieder, dass ich schlicht und einfach übersehen werde. Erstmals aufgefallen ist mir das am Flughafen. Es gab bei der Sicherheitskontrolle zwei Reihen, die zum Scanner führten. Ich kam von links. Und stand da, während in der Reihe von rechts einer um die andere durch den Scanner gingen, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich musste buchstäblich jemandem vor die Füsse hechten, um bemerkt zu werden. Und dachte danach, nicht ganz ohne Frust: «Also, vor zehn Jahren – und zehn Kilo – wäre mir das nicht passiert.»

Seither gibts immer wieder solche Situationen. Kürzlich lief ein Typ am Bahnsteig einfach in mich rein. Ich bin da gestanden, und nein, er hat nicht aufs Handy gestarrt, sondern mich angesehen – beziehungsweise durch mich durch gesehen. «Sorry, hab Sie nich gesehen», nuschelter er. Dasselbe gilt regelmässig auch für Servicepersonal in Restaurants. Während ich bis vor zwei, drei Jahren überhaupt kein Problem hatte, die Aufmerksamkeit mit einer Handbewegung auf mich zu ziehen, muss ich jetzt öfter laut rufen, wenn ich bestellen oder zahlen möchte. Und wenn ich an einer Bar etwas bestellen will, gehts je nachdem auch gefühlte Lichtjahre, bis ich mal an die Reihe komme.

«In Filmen, Werbung, Medien verschwinden Gesichter und Körper ab Mitte vierzig. Ausser, sie sehen aus wie Heidi Klum oder Brad Pitt»

Warum ist das so? Dass Männer in erster Linie Frauen Aufmerksamkeit schenken, die ihrem «Beuteschema» entsprechen, ist ja noch nachvollziehbar. Und dieses ist nun mal jung und attraktiv – auch wenn die Herren selbst dies nicht mehr sind. Aber: Frauen im mittleren Alter werden auch von Frauen ignoriert. Und auch Männer werden übersehen.

Haben sich unsere Hirne so sehr an das, was wir täglich vorgesetzt bekommen, gewöhnt, dass wir das andere gar nicht mehr bemerken? In Filmen, Werbung, Medien verschwinden nämlich Gesichter und Körper ab einem gewissen Alter. Ausser, sie sehen aus wie Jennifer Lopez, Heidi Klum oder Brad Pitt. Was beiden Geschlechtern vermittelt: «Hey, fünfzig ist voll cool – solange ihr dabei ausseht wie dreissig.»

Als ich nach dem Thema google, stosse ich auf ganz viele Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen wie ich. Aber auch auf folgende Aussage einer Psychologin: «Die anderen sehen das von einem, was man von sich selbst sieht.» Könnte es sein, dass der Brainfuck in allererster Linie uns Menschen mittleren Alters selbst heimsucht und gar nicht alle anderen? Und wenn ich mich selbstbewusst an die diese Bar stelle und einfach mal laut und deutlich mein Cüpli bestelle, werde ich genauso bemerkt wie die junge Dame neben mir? Ein Versuch ists wert.

Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 13. Oktober 2024 - 07:30 Uhr