Diese Stadt kann ganz schön rau sein. «Aus dem Weg», ruft ein Velofahrer energisch, als Bettina Ramseier mit den Gästen aus der Schweiz Richtung Regierungsviertel spaziert – auf einem Trottoir, wohlbemerkt! «Das ist typisch. Die Berliner Schnauze ist kein Klischee», sagt die 40-Jährige und lacht. Daran gewöhne man sich schnell. «Aber klar, als ich anfangs mit meinem Velo mitten auf der Strasse runtergeputzt wurde, musste ich leer schlucken.» Darum habe sie schnell gelernt zu kontern. «Ein frecher Spruch zurück – dann zeigen sich viele Berliner ganz zahm.»
Auf der Terrasse des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses mit viel Glas, Beton und einem tollen Blick auf die Reichstagskuppel steht Ramseier oft, wenn sie als SRF-Korrespondentin für Analysen in die «Tagesschau» zugeschaltet wird. Da kann es hinter den Kulissen auch mal hektisch zu- und hergehen.
Etwa als SPD-Politiker Olaf Scholz im Sommer 2020 unerwartet seine Kandidatur als Bundeskanzler ankündigt. «Ich raste spontan mit dem Velo zum Reichstag und sprach den Beitrag in Turnschuhen und Shorts in die Kamera», sagt Ramseier. Davon merkt das TV-Publikum natürlich nichts.
Seit Ende 2018 lebt die gebürtige Aargauerin, die zuvor lange in Winterthur wohnte, mit ihrem Mann sowie den drei- und siebenjährigen Söhnen in der deutschen Hauptstadt. «Ein Teil meines Herzens gehört Berlin.» Schon Anfang 20 studierte sie hier ein Semester Kommunikationswissenschaften, saugte das Grossstadtleben auf und schloss Freundschaften, die bis heute bestehen. «Zu Ur-Berlinern! Ossis und Wessis», wie sie augenzwinkernd betont. Von der Lehrerin bis zum Veranstaltungstechniker – Journalist sei nur einer dabei.
Gestartet hat Ramseier ihre Karriere bei Tele Züri, danach ging sie als Wirtschaftsredaktorin zum SRF, arbeitete für «Eco», die «Tagesschau» und «10 vor 10», zuletzt als Produzentin. Ihre renovierte Altbauwohnung im hippen Familienquartier Prenzlauer Berg mit Baumalleen, lauschigen Cafés, Delikatessenläden und Kindershops hat sie von ihrem Vorgänger Adrian Arnold übernommen. «Ich mag ja eigentlich genau an Berlin, dass es nicht so rausgepützelt ist. Aber beim Wohnen musste es auch für die Familie stimmen.» Die Möbel – wenig, dafür stilvoll im skandinavischen Stil – haben sie aus der Schweiz mitgenommen.
Im Gästezimmer steht ein Klavier, das die ganze Familie nutzt – vor Corona seien hier fast jedes Wochenende Freunde aus der Schweiz zu Besuch gewesen. «Ich fühle mich in Berlin sehr lebendig, doch natürlich habe ich auch Heimweh», sagt Ramseier. Vor allem die Natur fehle ihr. «Mein Älterer liebt es ebenfalls, im Grünen zu sein, während der Jüngere nicht genug von Trams, U-Bahnen oder Polizeibooten auf der Spree kriegen kann.» Am Wochenende fahredie Familie oft an einen der vielen Seen rund um Berlin. «Auch wenn es nicht dieselbe Idylle ist wie am Hallwilersee, wo ich aufwuchs.»
Ramseier ist die erste weibliche Korrespondentin, die mit der Familie ins Ausland zog. Ihr Privatleben möchte sie schützen – sie verrät aber zumindest, dass ihr Mann in einem ganz anderen Berufsfeld tätig ist. «Es ist nicht so, dass er nun einfach Hausmann wäre – das würde für uns beide nicht passen.» Doch es sei klar, dass ihr Job – der wie bei allen Korrespondenten auf vier Jahre begrenzt ist – zurzeit Priorität habe. «Mein Mann schaut aber jeden Beitrag von mir», sagt sie und schmunzelt.
Zurzeit sind das eine ganze Menge. Kein Wunder, denn der Kampf um die Nachfolge von Angela Merkel nach 16 Jahren im Kanzleramt geht in die letzte, entscheidende Runde. «Als Journalistin ist es für mich spannend, weil das Rennen völlig offen ist.» Für viele Deutsche, die sie für ihre aktuelle «10 vor 10»-Serie im ganzen Land getroffen hat, sei die Ausgangslage weniger erfreulich. «Sie sind ratlos und überfordert.» Denn wirklich überzeugend sei niemand der drei Kandidaten.
Aktuell liegt SPD-Mann Olaf Scholz in den Umfragen vorne – Ramseier rechnet ihm veritable Chancen aus. «Seine grösste Stärke ist wohl die Schwäche der anderen.» CDU-Politiker Armin Laschet lacht im überfluteten Katastrophengebiet, der Grünen Annalena Baerbock rutscht nach einer verpatzen Rede ein lautes «Scheisse» heraus. «Deutschland hätte mehr verdient», sagt die Korrespondentin.
Persönlich getroffen hat sie alle drei. Baerbock begegnete sie bei der Präsentation jenes Buches, das der Kanzlerkandidatin kurz darauf wegen Plagiatsvorwürfen so viel Ärger brachte. «Laschet gab uns ein längeres Interview in seinem Büro – das war angenehm und aufschlussreich.» Scholz habe ihr bei einer Wahlveranstaltung die kalte Schulter gezeigt. «Manche sagen, das sei der kühle Hamburger – ich fand ihn etwas überheblich.»
Natürlich sei das Schweizer Fernsehen ein kleiner Fisch im Berliner Politbecken. «Die warten nicht auf uns.» Merkel habe sie nur einmal an einer Veranstaltung getroffen, «wobei sie sowieso kaum Interviews gibt». Deshalb helfen ihr Kontakte wie jener zum Pressechef der CDU. Er war ihr Vorgesetzter bei N-TV, wo sie früher ein Praktikum machte. «Er hat mich nicht vergessen, weil ich auch mal einen frechen Spruch machte.»
Dass sie ihren Job mit Herzblut ausübt, spürt jeder, der sie trifft. Immer wieder schweift der Blick aufs Handy: «Hoppla, schon wieder ein neuer Tiefpunkt für die Union.» – «Oh, Bundesrätin Keller-Sutter trifft sich mit Innenminister Horst Seehofer – da will ich dabei sein!»
Schon als Mädchen hat Bettina Ramseier Journalistin gespielt. «Ich lief mit dem Notizblock im Quartier herum und interviewte Leute.» Zudem liebt sie es noch heute, Dialekte und Sprachen bis zur Perfektion zu kopieren. «Den Basler Dialekt kann ich besonders gut.» Auch das astreine Deutsch habe sie sich bereits als Kind antrainiert. «Meine Grossmutter kommt aus Süddeutschland, ihre Schwester lebte in der DDR – Deutschland war bei uns zu Hause so-wieso ein Thema.» Den Berliner Dialekt hat sie ebenfalls drauf, immer wieder fällt ein typisches «Jut». Die Deutschen seien allerdings enttäuscht, wenn sie nicht mit Schweizer Akzent wie etwa in der «Tagesschau» spreche. «Sie finden den viel charmanter.»
Ihren bisher grössten Auftritt wird Bettina Ramseier am 26. September haben. Dann steht sie wieder auf der Terrasse mit Blick auf die Reichstagskuppel – und berichtet zusammen mit Cornelia Boesch live von der Bundestagswahl. Angeschnauzt wird sie dann wohl kaum.