Sibylle Matter Brügger, Spitzensportlerinnen können sich via Swiss Olympic mit frauenspezifischen Fragen an Sie wenden. Wird das Angebot rege genutzt?
Ja, wöchentlich lassen sich ein bis zwei Athletinnen von mir beraten.
Welche Fragen beschäftigen sie?
Sie drehen sich hauptsächlich um zwei Themen: Die Verhütung und den Menstruationszyklus. Bei letzterem suchen die Athletinnen meist Rat, weil die Periode ausbleibt oder sie während des Zyklus Beschwerden haben.
Erst seit wenigen Jahren sprechen einzelne Sportlerinnen darüber, wie der Zyklus ihre Leistung beeinflusst. Warum war das ein Tabu?
Man hat Gynäkologie und Sport lange nicht in einen Zusammenhang gebracht, sondern als zwei unabhängige Bereiche betrachtet. Zudem gab es keine Fachpersonen, die sich mit der Thematik auseinandersetzten. Auch abgesehen vom Sport wurde in der Öffentlichkeit kaum über den Menstruationszyklus gesprochen.
Weshalb ist es wichtig, dass das getan wird?
Weil die Menstruation Teil des Lebens als Frau ist. Man muss weder über allfällige Beschwerden schweigen, noch diese als normal betrachten. Früher war das oft der Fall. Besser ist es jedoch, mit Fachpersonen nach Lösungen zu suchen.
Die Expertin
Dr. med. Sibylle Matter Brügger ist Sportmedizinerin und Health Performance Managerin bei Swiss Olympic. In dieser Funktion definiert sie Themen und setzt Massnahmen um, die für die sportmedizinische Unterstützung der Athletinnen wichtig sind. Zudem steht sie Sportlerinnen und Mitgliedsverbänden von Swiss Olympic beratend zur Seite. Sie ist ehemalige Profi-Triathletin und gewann unter anderem zweimal den Ironman Switzerland. Zudem arbeitet sie als Leitende Ärztin Sportmedizin und Stv. Leiterin im Sport Medical Center Medbase Bern Zentrum.
Sie waren früher als Spitzen-Triathletin aktiv. War Ihnen der Einfluss des Zyklus auf Ihre sportlichen Leistungen bewusst?
Ja, ich habe gemerkt, dass meine Leistungsfähigkeit je nach Zyklusphase schwankt. Spezielle Massnahmen und Vorkehrungen habe ich deshalb aber keine getroffen. Ich hoffte einfach, dass nicht genau dann ein wichtiger Wettkampf stattfindet, wenn es mir weniger gut geht.
Inwiefern beeinflusst der weibliche Zyklus denn die Leistung genau?
Das kann nicht pauschal beantwortet werden. Befragt man 100 Frauen zu diesem Thema, erhält man 100 verschiedene Antworten. Sogar bei derselben Frau können die Auswirkungen des Zyklus von Monat zu Monat variieren. Auch die jeweiligen Beschwerden unterscheiden sich: Die einen haben psychische Probleme, andere starke Wassereinlagerungen, Bauchschmerzen oder Blähungen.
Während des Zyklus verändern sich besonders die Hormone LH, FSH sowie Östrogen und Progesteron. LH und FSH steuern unter anderem den Eisprung und die Produktion von Östrogen und Progesteron.
Der Östrogenspiegel steigt in der ersten Zyklushälfte mit dem Einsetzen der Menstruation an. Das Hormon unterstützt den Muskelaufbau, schützt die Gefässe, erhöht die Knochendichte, hebt die Stimmung, fördert die Regeneration und führt zu Einlagerungen von Wasser und Fett.
Progesteron wird hauptsächlich zwischen dem Eisprung und dem Einsetzen der Menstruation ausgeschüttet. Es wirkt eher muskelabbauend und sorgt für eine Erhöhung der Körpertemperatur und verstärkt Wassereinlagerungen.
Beeinträchtig der weibliche Zyklus die sportlichen Leistungen bloss oder kann man ihn sich auch zu Nutzen machen?
Das kann man. In der ersten Zyklushälfte fällt es aufgrund der hormonellen Situation beispielsweise vielen Athletinnen leichter, Muskeln aufzubauen. Allerdings ist es bei Frauen mit einem ausgeprägten Hormonwechsel schwierig, die schlechte Phase zu verbessern, ohne die gute Phase zu verschlechtern. Eine Therapie zur Linderung der Beschwerden hat meist zur Folge, dass nicht nur die negative Welle, sondern auch die positive einen weniger hohen Peak erreicht.
Kommt dieser Effekt ausschliesslich zum Tragen, wenn man zur Regulierung des Zyklus die Pille nimmt?
Beim Einsatz von pflanzlichen Produkten passiert dies tatsächlich eher selten. Mit der Pille unterdrückt man die Produktion der Sexualhormone und dadurch die Schwankungen. Es gibt damit keinen eigenen Zyklus mehr.
Wann ist das sinnvoll?
Zum Beispiel bei jungen Athletinnen, die Probleme mit dem Zyklus haben. Sie erzielen insgesamt meist bessere Leistungen, wenn sie nicht jeden Monat mehrere Tage stark eingeschränkt sind. Wichtig ist jedoch, dass sie die Pille nach zwei bis drei Jahren wieder absetzen und überprüfen, wie es ihnen mit einem normalen Zyklus geht. Das kann sich mit der Zeit extrem verändern. Zudem müssen unbedingt auch allfällige Kontraindikationen beachtet werden, welche diese therapeutischen Massnahmen verbieten können, weil sie negative Auswirkungen auf den Körper hätten.
Zyklusorientiertes Training ist also nur möglich, wenn man nicht hormonell verhütet. Wie sieht dieses aus?
In einem ersten Schritt geht es darum, den Zyklus und die Symptome kennenzulernen. In einem zweiten Schritt wird das Training entsprechend dem unterschiedlichen Befinden während des Zyklus angepasst. Bei Leistungssportlerinnen kann es folgend sinnvoll sein, den Trainingsplan entsprechend dem Zyklus auszuarbeiten. Grundsätzlich gilt es, in der ersten Zyklushälfte vor dem Eisprung mehr und härter zu trainieren – etwa in Form von konzentriertem Krafttraining –, in der zweiten Hälfte bis zur Menstruation lockerer, indem man auf Stabilisierung und Koordination setzt.
Müssen Spitzensportlerinnen im Training nicht ständig ans Limit gehen?
Nein, das ist nicht sinnvoll. Der Körper braucht Erholungsphasen. Es ist ratsamer, sich einmal zurückzunehmen und im nächsten Training wieder Vollgas zu geben.
Sollte man während der Menstruation gewisse Dinge vermeiden?
Grundsätzlich nicht, aber das ist von Frau zu Frau unterschiedlich. Es gibt sogar Athletinnen, die ab dem ersten Tag der Menstruation besonders gute Leistungen erzielen. Leidet man aber unter Krämpfen und Unterbauchschmerzen, ist Sport leider nicht förderlich.
Was tun, wenn genau an einem solchen Tag ein wichtiger Wettkampf ansteht?
Einige Athletinnen können Wettkämpfe durchstehen, wenn sie gleich beim Einsetzen der Mens ein Schmerzmittel einnehmen. Das sollte aber nicht die Regel sein. Wer während der Periode ständig starke Schmerzen hat, nimmt besser mit einer Fachperson Rücksprache. Eine Option ist dann, sich für die Zeit des Wettkampfs die Pille verschreiben zu lassen, um den Zyklus kurzfristig zu beeinflussen. Allerdings nur, wenn alle Risiken abgeklärt sind und man durch vorgängiges Ausprobieren bereits weiss, wie man auf das Verhütungsmittel reagiert.
Welchen Einfluss hat die Psyche auf die Leistung?
Einen sehr grossen. Auch das wurde früher tabuisiert. Schlägt der Zyklus auf die Stimmung, kann man das vielseitig angehen: Etwa indem man psychologische Unterstützung in Anspruch nimmt oder auf pflanzliche Produkte wie Mönchspfeffer und Johanniskraut setzt. Hilft das nichts, kann man über hormonelle Unterstützung in Form der Pille nachdenken.
Im Body & Health Lab beschäftigen wir uns mit aktuellen Themen aus den Bereichen Mental Health, Body Science sowie Innovation und Digitalisierung. Welche Technologien, Trends und Therapien sind richtungsweisend? Was tut sich gerade in der Forschung? Und wer sind die Menschen dahinter? Fundiert recherchierte Artikel geben Auskunft. Unterstützt werden wir dabei von unserem langjährigen Partner Toyota.
Auch Toyota ist stets bestrebt, neue Lösungen zu finden und Innovationen voranzutreiben mit dem Ziel, unser Leben und unsere Zukunft besser und nachhaltiger zu machen. So engagiert sich Toyota etwa in Form einer Partnerschaft mit Swiss Olympic für den Schweizer Sport und ist seit 2018 globaler Partner der Olympischen und Paralympischen Spiele.
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Welche Erkenntnisse aus dem Spitzensport können Hobby-Sportlerinnen für sich nutzen?
Auch sie sollten aufmerksam sein und auf ihren Körper hören. Haben sie das Gefühl, ihre Leistungen schwanken stark, kann es sinnvoll sein, die Leistungstiefs in einem Tagebuch zu notieren. So lässt sich überprüfen, ob diese in einem Zusammenhang mit dem Zyklus stehen. Manchmal hilft bereits das Wissen darum, weshalb man an einem bestimmten Tag weniger fit ist.
Würden Sie auch Freizeitsportlerinnen raten, in der ersten Zyklushälfte intensiver zu trainieren als in der zweiten?
Das gilt für Freizeitsportlerinnen weniger als für Spitzenathletinnen. Ihnen würde ich schlicht empfehlen, dann härter zu trainieren, wenn ihnen danach ist und Pausen einzulegen, wenn sie sich nicht gut fühlen. In diesen Phasen bringt sie das Training nämlich nicht weiter.
Sollten Laiinnen während der Menstruation überhaupt Sport treiben?
Wenn sie keine Beschwerden haben, auf jeden Fall. Bei leichten Beschwerden kann man Sportarten ausprobieren, die keine Schläge geben. Zum Beispiel Schwimmen, Velofahren oder Langlaufen.
- Trainingstagebuch: Werden Leistungsschwankungen in einem Trainingstagebuch notiert, hilft das, den eigenen Körper und zyklusbedingte Einflüsse kennenzulernen.
- Smartwatches und Apps: Sie können dazu dienen, den Zyklus zu überwachen und ihn ins Training zu integrieren. Das Bundesamtes für Sport empfiehlt auf seiner Website die App FitrWoman. Es muss jedoch jede Frau für sich entscheiden, ob ihr solche Tools helfen oder sie sich durch das Tracking eher gestresst fühlen.
- Wohlbefinden: Hobby-Sportlerinnen sollten sich weniger nach einem fixen Trainingsplan, sondern vielmehr nach dem eigenen Wohlbefinden richten.
- Alternativen: Wer während der Menstruation Beschwerden hat, aber dennoch nicht auf Sport verzichten möchte, kann auf sanfte Sportarten wie Schwimmen oder entspannendes Yoga setzen.