Dr. Manuela Macedonia: Die letzten zehn Jahre habe ich sehr viel Wissen über den positiven Einfluss von Bewegung auf das Gehirn gesammelt. Manchmal, wenn ich laufen gehe, muss ich mich überwinden. Aber ich denke immer, dass Bewegung mir hilft, mein Gehirn leistungsfähig zu halten, dass sie mich vor Depression und degenerativen Erkrankungen wie Alzheimer schützt. Daher laufe ich für mein Gehirn. Für die Figur würde ich mich bestimmt nicht aufraffen!
Bewegung wirkt sich auf das Gehirn systemisch aus: Sie regt die Ausschüttung wichtiger Substanzen an, die Kraftfutter für die Nervenzellen sind und diese schützen. Bewegung regt aber auch die Entstehung neuer Neuronen an, die unser Gehirn reparieren können. Nicht zuletzt ist Bewegung für die Ausschüttung von Botenstoffen zuständig, die unsere Psyche stabil halten. Bewegung schraubt nicht an einem Rädchen, sondern liefert einen Grossservice für das ganze Gehirn!
Nein. Aber der Durchschnittsmensch wartet seine geistige Hardware und macht sie leistungsfähiger, wenn er sich ausreichend und regelmässig bewegt. Studien belegen auch, dass Kinder, die sportlich sind, bessere Schulnoten und einen grösseren Hippocampus haben – jene Struktur in der Tiefe des Gehirns, die für das Kurzzeitgedächtnis zuständig ist.
Tierexperimente haben ausreichend belegt, dass Fortbewegung effektiv ist. Für den Menschen übersetzt: Gehen, also auch Spazierengehen, Walken, Wandern, Laufen. Aber auch Sportarten, in denen Laufen enthalten ist – zum Beispiel Fussball.
Multitasking ist für unseren Alltag unentbehrlich: Selbst, wenn wir nur Auto fahren, machen wir sehr viele Dinge gleichzeitig – natürlich ohne, dass es uns bewusst wäre. Wir beobachten die Lage rund um uns, sehen eine Kuh auf der Wiese neben der Autobahn, gleichzeitig jemanden hinter uns, der uns überholen möchte, wir bedienen die Pedale, halten das Lenkrad, blinken und so weiter. Bewegung kann jene Regionen im Vorderhirn – also hinter der Stirn – pflegen, die für Multitasking zuständig sind. Sie schrumpfen mit dem Alter weniger und die Funktionen bleiben uns länger erhalten.
Nein, das ist nicht belegt. Belegt ist allerdings, dass Fettgewebe im Körper zu kleinen unsichtbaren und nicht wahrnehmbaren Entzündungen führt, auch im Gehirn. Über die Jahrzehnte hinweg kann diese Menge an Entzündungen unsere kognitiven Fähigkeiten wohl beeinträchtigen, also fallen uns Aufgaben schwerer als früher.
Ja, mit Bewegung regt man die Neurogenese an, also die Entstehung neuer Stammzellen. Sie wandern auf Schienen, die ihnen andere Gehirnzellen legen, dann dorthin, wo sie gebraucht werden, also wo Reparaturen durchgeführt werden. Zum Beispiel nach einem Rausch, der gleich ein paar Millionen Zellen zerstört hat.
Regelmässige Bewegung regt die Ausschüttung vieler Botenstoffe an, interessanterweise auch solcher, die unser psychisches Wohlbefinden betreffen: Dopamin, das sogenannte Glückshormon, und Serotonin, die Substanz, die uns ausgeglichen macht. Bei Depressionen kann sich Bewegung unterstützend zu verschiedenen Therapieformen auswirken. So kann teilweise sogar die Medikamentenmenge reduziert werden.
Hier und jetzt. Es ist nie zu spät und es ist nie egal. Denn diese systemische Wirkung ist für alle – Kinder, Erwachsene, ältere Menschen und sogar Alzheimer-Patienten – nachgewiesen. Je mehr wir uns bewegen, desto stärker wird der Effekt auf unser Gehirn sein. Ein bisschen spazieren gehen am Sonntag oder ein Stadtbummel werden sich nicht auswirken. Man soll es schon ernst nehmen und man soll auch dranbleiben.
Das hängt davon ab, wie alt man ist und ob man sich jemals bewegt hat oder nicht. Es gibt kein Rezept, das für alle gilt, denn wir alle sind verschieden. Ich bin sehr trainiert. Damit es bei mir wirkt, muss ich halt ein bisschen aus meiner Komfortzone gehen: Also nicht 60 Radkilometer am Tag, sondern 100 oder 120. Dasselbe gilt für das Laufen: 10 Kilometer machen mir gar nichts aus, sind aber erhaltend und ich fühle mich dabei wohl. Mit dem Gehirn ist nicht zu spassen. Alt möchten wir alle werden, aber alt und dement ist keine Option. Das Gehirn ist die Steuerzentrale all unserer Fähigkeiten. Bewegen wir uns nicht, präsentiert es uns irgendwann einmal die Rechnung.
Warum sind sportliche Kinder besser in der Schule? Weshalb haben sportliche Menschen das bessere Gedächtnis? In «Beweg dich! Und dein Hirn sagt Danke» erklärt Neurowissenschaftlerin Dr. Manuela Macedonia, welche positiven Auswirkungen regelmässige Bewegung auf unser Gehirn hat. Die Autorin promovierte an der Universität Salzburg über die Auswirkungen von Bewegung auf das Gedächtnis. Am Max-Planck-Institut für Neurowissenschaften Leipzig arbeitete sie zu den Vorteilen des sensomotorischen Lernens. Derzeit ist sie an der Universität Linz tätig. Sie selbst läuft beinahe täglich. Das Buch ist erschienen im Brandstätter Verlag.