Sie sind in aller Munde: Mit dem Aufschwung von Pilates und Yoga wurden auch die vorher kaum beachteten Faszien vermehrt ins Rampenlicht gerückt. Spätestens seit in jedem Gym nach dem Training «gerollt» wird wie verrückt und man selbst beim Grossverteiler die entsprechenden Hilfsmitttel dazu erstehen kann, sind Faszien der Gesundheits-Hype schlechthin. Unter Fachleuten ist das Thema jedoch nichts Neues. «Für uns Physiotherapeuten sind die Faszien schon seit langem ein Sinnesorgan, das in die Behandlung miteinbezogen wird», sagt Physiotherapeutin Beatrice Rechsteiner. Uns hat sie erklärt, was wir über das faszinierende Fasergewebe wissen müssen.
Im Grunde genommen sind Faszien ein elastisches Bindegewebe aus Kollagenfasern. Am besten stellt man sie sich wie die dünne Haut vor, die das Fruchtfleisch einer Orange umhüllt. «Faszien sind überall im Körper zu finden», erklärt Rechsteiner. «Sie umhüllen Muskeln, Organe, Knochen und sorgen für Stabilität». Ihre Funktion: Sie speichern die Energie und sind zuständig für die Kraftübertragung. Zudem erhalten Sie viel Bewegungssensoren und Schmerzrezeptoren und sind dementsprechend zentral für unser Wohlbefinden. Selbst hinter Schmerzen, die ein Gelenk wie das Knie betreffen, können verklebte Faszien stecken.
«Faszien reagieren empfindlich auf verschiedene Reize wie Überforderung und Unterforderung», erklärt Rechsteiner. So könnten zum Beispiel anhaltender Stress oder zu wenig Bewegung zu Verklebungen führen. Beim Faszientraining geht es darum, diese zu lösen. Dies kann einerseits bei einem akuten Problem wie Muskelkater oder hartnäckigen Verspannung zu einer schneller Regeneration führen. Andererseits sind zufriedene Faszien auch gut für die Beweglichkeit und gegen Cellulite.
Auch wenn es uns die Marketing-Maschinerie glauben machen will: Faszien kann man nicht nur mit der Rolle trainieren. «Am wichtigsten ist Bewegung - vor allem Hüpfen und Springen sind sehr effektiv», sagt die Physiotherapeutin. Also wieso nicht wieder den guten alten Hampelmann (Neudeutsch: Jumping Jack) in seine Trainingsroutine aufnehmen oder mal wieder Seilhüpfen? Macht doch eh total Spass!
Auch langkettiges Dehnen hat positive Effekte auf das Bindegewebe. Was damit gemeint ist? Komplexe Stretch-Übungen, wie sie zum Beispiel beim Yoga üblich sind. Dabei werden mehrere Muskelgruppen gleichzeitig beansprucht. Ein Klassiker: Sich langsam vornüber beugen, die Arme hängen lassen und sich mit dem Oberkörper langsam von rechts nach links und wieder zurück bewegen. Wer die Fussstellung variiert, aktiviert damit verschiedene Muskelregionen.
Wer zum ersten Mal eine Faszienrolle benutzt, wird überrascht sein von den Schmerzen, die das runde Ding verursachen kann. Ein gewisses «Wohlweh». wie man es zum Beispiel auch bei einer Sportmassage verspürt, ist normal. Übertreiben sollte man es mit den Qualen aber nicht. Besonders Frauen mit schwachem Bindegewebe oder Krampfadern sollten Vorsicht an den Tag legen und ihre Körpersignale ernst nehmen. «Man hat per Ultraschall festgestellt, dass die Venenklappen beim Rollen beschädigt werden können», warnt Rechsteiner. Wie sich das Fitness-Tool auf andere Strukturen im Körper – zum Beispiel auf die Lymphklappen – auswirke, sei noch nicht ausreichend erforscht.