Die Antibabypille kam im April 1961 in der Schweiz auf den Markt. Sie wurde als grosse Befreiung gefeiert. Die Pille revolutionierte das Sexleben der Frauen. Sie konnten selber entscheiden, wann und wie oft sie schwanger wurden. Ende der 60er-Jahre war sie das am häufigsten verwendete Verhütungsmittel. Heute ist das Kondom das Verhütungsmittel der ersten Wahl. 42 Prozent der sexuell aktiven Personen in der Schweiz benutzen es. Junge Frauen verzichten immer mehr auf künstliche Hormone. Setzten vor 30 Jahren noch 62 Prozent der 25- bis 34-Jährigen auf die hormonelle Verhütung, waren es bei der jüngsten Erhebung nur noch 39 Prozent. «Wann immer über Risiken wie Thrombosen und Nebenwirkungen wie Gefühlsschwankungen berichtet wurde, hatte und hat das einen grossen Einfluss auf die individuelle Wahl des Verhütungskonzepts», erklärt Dr. Reto Stoffel, Gynäkologe mit langjähriger Erfahrung. «Frauen nach 30 wollen sich nicht durch Hormone manipulieren lassen», fügt er hinzu. «Und Teenager finden neue Möglichkeiten wie Apps lässig.» Das tönt erstmals verlockend. Ohne Hormone, natürlich und modern verhüten.
Eine App allein ist aber noch kein Verhütungsmittel. Manche Anbieter werben sogar damit, dass ihre App so sicher sei wie die Pille. Der Pearl-Index spricht da eine andere Sprache. Der Index gibt an, wie viele von 100 Frauen binnen eines Jahres trotz Verhütung schwanger werden. Wird mit einer App, welche die symptothermale Methode anwendet, verhütet, liegt der Pearl-Index zwischen 0,4 bis 2,3. Die Pille hingegen hat bei zuverlässiger Einnahme einen Pearl-Index von 0,1 bis 0,9. Dr. Reto Stoffel bezeichnet denn auch Verhütung mit Apps als russisches Roulette. «Wenn auf keinen Fall eine Schwangerschaft eintreten darf, sind Apps viel zu unsicher.»
Die meisten Apps verwenden die Temperaturmethode. Dabei misst die Anwenderin jeden Morgen ihre Temperatur direkt nach dem Aufwachen und liefert so einen Anhaltspunkt für die fruchtbaren Tage. Einige Apps fragen zusätzliche Körpersymptome ab wie die Beschaffenheit des Zervixschleims und des Muttermunds. Das ist die symptothermale Methode. Dazu Dr. Stoffel: «Die Beobachtung des Zervixschleims ist nur bedingt aussagekräftig. Die Scheidensekretion wird durch verschiedene Faktoren wie Infekte oder Stress beeinflusst.» Ärztliche Fachpersonen und Wissenschafter*innen sind sich einig, dass unsichere Algorithmen oder mögliche Eingabefehler das Risiko einer Schwangerschaft eher noch erhöhen. Zudem schützen die Tools nicht vor sexuell übertragbaren Krankheiten.
Wie sollen junge Frauen verhüten? Für Reto Stoffel stehen nach wie vor hormonelle Möglichkeiten im Vordergrund. «Es liegt an der Gynäkologin oder am Gynäkologen abzuschätzen, vor welchen Methoden aus medizinischen Gründen abgeraten werden muss. Es ist bekannt, dass etwa ein Drittel aller Menschen genetisch ein erhöhtes Thromboserisiko hat. Bei diesen ist dringend von östrogenhaltigen Kombinationspräparaten abzuraten. Reine Gestagenpräparate bergen kein Thromboserisiko, und sie verhüten ebenfalls zuverlässig. Es muss jedoch ein Zeitfenster bei der Einnahme berücksichtigt werden. Frauen mit häufigen Infekten wie Eileiterentzündungen sollten sich keine Spirale einsetzen lassen.» Für Reto Stoffel steht fest, hormonfrei und sicher verhüten ist nicht so einfach.