Stress, Langeweile, Angst oder geistige Anstrengung – Menschen, die Nägel kauen, tun das aus verschiedenen Gründen und meistens nicht erst seit gestern. Häufig kommt das Verhaltensmuster noch aus Teenie-Zeiten, in denen viele einen Weg suchen, mit Hormonen, plötzlichen Emotionen und Veränderungen umzugehen. Plötzlich geht man auf die 40 zu und hadert noch immer mit der unschönen Angewohnheit? We feel you. Den neben den abgekauten Nägeln an sich, kämpfen die Betroffenen häufig mit Scham, Unsicherheiten und dem Stigma, das Regisseur*innen erschaffen haben, als sie anfingen, sämtliche Psychopath*innen nägelkauend darzustellen. NICHT hilfreich, liebe Filmemacher*innen.
Einmal das Übliche, bitte!
Und jetzt? Typische Methoden, wie eine regelmässige Maniküre, das Auftragen von Bitterlack oder einfach «Willensstärke» können in leichten Fällen helfen und sind auf jeden Fall einen Versuch wert. Gelnägel oder Shellac sind etwas drastischer und verhindern durch ihre Haltbarkeit das Abkauen – sind die Krallen aber einmal ab, taucht das Problem häufig wieder auf. Was also tun, wenn der direkte Gang zum Arzt doch ein wenig übertrieben scheint?
Die Gewohnheit ist die Lösung
Ein neuer Ansatz verspricht Besserung. HTR steht für Habit Reversal Training oder, zu Deutsch, Reaktionsumkehr. Die Methode ist der Liebling der Verhaltenstherapeuten und wissenschaftlich erprobt. Und nur so by the way: Sie ist genau das, nach was sie klingt. Nachdem man herausgefunden hat, in welchen Situationen man üblicherweise Nägel kaut (in der Bahn, bei Stress, am Abend auf der Couch), heisst es Acht geben – und die Reaktion auf die Situation umkehren. Immer, wenn man üblicherweise kauen würde, setzt man sich auf seine Hand, cremt sie ein oder trägt Lippenbalsam auf. Irgendetwas, das weniger schädlich ist, als abgekaute Fingernägel. Weil wir konditionierbar sind, funktioniert das häufig, sieht aber auch minimal weird aus.
Eine Abwandlung der Methode ist die Entkopplungstherapie. Statt etwas komplett anderes zu tun, wird die Hand dabei wie üblich zum Mund geführt. Erst kurz vorher wird die Bewegung ruckartig abgefälscht. Ob nun in Richtung Bauch oder Kopf ist prinzipiell egal – wir empfehlen, die unauffälligere Option zu wählen. Ihr wisst schon, wegen der Weirdness. Durch den Ruck am Ende sendet man ein Signal an den Körper und sagt ihm: «Ha, ich bin von meinem Verhaltensmuster abgewichen! Obwohl es für dich so gut aussah!» Hat man die typische Reaktion ein paar mal so «entkoppelt», stehen die Chancen gut, dass der Drang nach dem Nägelkauen nachlässt.
Hilft keine der Methoden und ist der Leidensdruck gross, sollte es niemanden unangenehm sein, mit einem Experten zu sprechen. Der Hausarzt oder die Hausärztin kann herausfinden, wer der richtige Ansprechpartner ist.