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Psychopharmaka

Die Wahrheit über Antidepressiva

Die Seelentröster sind in die Kritik geraten. Prof. Gregor Hasler, Ordinarius für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg, über Nutzen und Risiken der Antidepressiva.

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Auch Schmerzpatienten profitieren von Antidepressiva. Sie haben weniger Nebenwirkungen als Schmerzmittel.

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Dr. med. Samuel Stutz: Prof. Hasler, eine ketzerische Frage vorweg: Handelt es sich bei der Depression wirklich um eine Krankheit oder nicht viel eher um den Versuch, sich eine gewisse Zeit aus dem Hamsterrennen zu nehmen?
Depressionen sind eine sehr belastende Krankheit und der häufigste Grund für Suizide. Sie betreffen auch Menschen, die nicht im Hamsterrad sind. Falls die Depression jemand aus dem Hamsterrad wirft, handelt es sich um einen unnötig schmerzhaften und qualvollen Rauswurf.

Fast zehn Prozent der Bevölkerung nehmen Antidepressiva. Ist das nicht ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft und die Hausärzte, die solche Psychopillen im Übermass verschreiben?
Eine neue Studie zur Verschreibung von Antidepressiva durch Hausärzte zeigt, dass die Patienten diese gerne nehmen, weil sie angstlösend wirken und so das Wohlbefinden verbessern. Mit Depression im engeren Sinn scheint dieser enorme Erfolg gar nicht so viel zu tun zu haben. Allgemein finde ich, dass sich Hausärzte mehr Zeit nehmen sollten, ihren Patienten verschiedene Therapieoptionen zu erklären. Die verbreitete Einnahme von Antidepressiva hat aber nicht nur mit den Ärzten zu tun. Es kommt immer häufiger vor, dass Patienten mich bitten, ihnen ein Antidepressivum zu verschreiben. Wenn ich abrate, sind sie ganz erstaunt. Das war vor zehn Jahren noch ganz anders.

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Zur Person

Prof. Dr. Gregor Hasler, Ordinarius für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Freiburg.

Sind Bewegung, Sport und Gesprächstherapien nicht bessere Alternativen?
Meines Erachtens sollten bei leichten und mittleren Depressionen immer zuerst nicht medikamentöse Therapien ausprobiert werden. Ob nun Sport, Gespräche oder eine Internet-Therapie hilft, ist individuell verschieden.

Wie wirken Antidepressiva? Anscheinend nicht viel besser als ein Placebo.
Es ist nicht selten, dass ein Antidepressivum nicht wirkt. Zum Glück gibt es viele verschiedene Antidepressiva und viele andere Medikamente, die man bei Depressionen einsetzen kann. Verwirrenderweise heissen diese dann nicht Antidepressiva. Oft hilft eine Erhöhung der Dosis, um die Wirksamkeit zu verstärken. Und wie ich gesagt habe, Antidepressiva wirken besser auf Ängste als auf depressive Kernsymptome. Da Ängste sehr belastend sind und häufig bei Depressionen vorkommen, wollen viele Patienten die Medikamente weiternehmen.

Wie funktioniert das mit den Botenstoffen im Gehirn, die von Antidepressiva angeblich wieder ins Lot gebracht werden?
Antidepressiva wirken bei depressiven Symptomen, die vielerlei Ursachen haben: zum Beispiel genetische, nach einem Hirnschlag, wegen einer schwierigen Kindheit und vieles mehr. Dies spricht dafür, dass Antidepressiva nicht die Ursachen ändern, also kein ursächliches Ungleichgewicht reparieren. Sie wirken vermut-
lich eher wie Aspirin bei Schmerz. Wer würde denn so verrückt sein zu behaupten, dass jeder Schmerz ein Aspirin-Mangel sei.

Es wird immer wieder Kritik laut, dass Antidepressiva viel zu leichtfertig verschrieben werden. Sind Traurigkeit und Niedergeschlagenheit wirklich ein Fall für die chemischen Seelentröster?
Der Schweregrad und vor allem die Dauer der Symptome sind zentral. Jeder ist mal ein paar Tage niedergeschlagen. Die Patienten, die sich bei mir melden, sind aber oft über Jahre niedergeschlagen und haben über Jahre keine Freude mehr erlebt, obwohl in ihrem Leben alles rundläuft. Das ist schwerwiegend. Wenn sich diese Symptome unter einem Antidepressivum verbessern, ist das ein Segen.

Wann ist eine Therapie gerechtfertigt?
Antidepressiva haben viele Anwendungen, was auch erklärt, weshalb sie so häufig verschrie-
ben werden. Es geht nicht nur um mittlere
und schwere Depressionen, sondern auch um schwere Angst- und Zwangsstörungen, die auf Psychotherapie nicht ansprechen. Viele Schmerzpatienten profitieren von Antidepressiva, da sie weniger Nebenwirkungen haben als klassische Schmerzmittel.

Welche Nebenwirkungen muss man mit Antidepressiva in Kauf nehmen?
Es gibt viele Antidepressiva, die sich in Bezug auf die Nebenwirkungen deutlich voneinander unterscheiden. Patienten müssen über diese Unterschiede informiert werden. Aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen werden in der Schweiz fast nur Antidepressiva vom Typ SSRI – selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer – verschrieben, die eher viele mögliche Nebenwirkungen haben. Ich verschreibe diese Medikamente selten. Es gibt Alternativen, die weniger Nebenwirkungen verursachen.

Wann würden Sie selber Antidepressiva nehmen?
Wenn ich zur Einsicht käme, dass alle psychosozialen Massnahmen nicht helfen, mich aus einer Depression, aus anhaltenden, lähmenden Ängsten oder chronischen Schmerzen herauszuholen.

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Ratgeber: Psychopharmaka

Die Einnahme von Antidepressiva ist ein Tabu, das mit vielen Unsicherheiten verbunden ist. Diesem Manko begegnet Prof. Gregor Hasler, indem er in leicht verständlicher Sprache solides Basiswissen vermittelt. Sein Buch «Psychopharmaka – Wirkung, Nutzen, Gefahren», Beobachter Edition, kostet CHF 39.–.

Von Style am 14. August 2020 - 16:26 Uhr