Immer wieder ist die Rede von einer Schilddrüsenunterfunktion. Doch was passiert bei einer Überfunktion? Wir haben bei einer Expertin nachgefragt.
Was ist die Aufgabe der Schilddrüse?
Sibylle Kohler: Sie produziert die Schilddrüsenhormone T4 (Thyroxin) und T3 (Trijodthyronin). Die Produktion von T4 und T3 wird durch das Gehirn respektive die Hirnanhangsdrüse gesteuert. Durch die Umwandlung in die freie Form (fT4 und fT3) werden sie biologisch wirksam und können im Blut gemessen werden.
Das menschliche Gehirn merkt, wie viel Schilddrüsenhormon der Körper braucht, und steuert die Produktion von T4 und T3 über das Thyreoideastimulierende Hormon (kurz: TSH) aus der Hirnanhangsdrüse. Dieses meldet der Schilddrüse, wie viele Hormone sie produzieren soll. Sendet das Gehirn wenig stimulierendes TSH aus, meldet es der Schilddrüse, dass diese die Produktion drosseln soll. Sendet es hingegen viel TSH aus, wird der Schilddrüse durch das starke stimulierende Signal übermittelt, dass sie die Produktion erhöhen soll. Darum ist bei einer Überfunktion das TSH tief und bei einer Unterfunktion das TSH hoch.
Was sind mögliche Ursachen für Morbus Basedow?
Bei einer Überfunktion produziert die Schilddrüse zu viele Schilddrüsenhormone, die sich nicht mehr durch das Gehirn steuern lassen. Bei Morbus Basedow wird aus noch nicht ganz geklärten Gründen das Immunsystem getriggert, um stimulierende Antikörper zu bilden. Sie regen die Schilddrüse an – unabhängig vom TSH (siehe Box «Check») und ohne Rücksicht auf den körpereigenen Bedarf –, zu viele Schilddrüsenhormone zu produzieren.
Was sind die möglichen Symptome?
Sie entwickeln sich schleichend und sind unterschiedlich. Bei einer milden Überfunktion kann diese unbemerkt bleiben und wird dann meistens zufällig bei einer Blutuntersuchung entdeckt. Bei einer deutlichen Überfunktion mit sehr hohen Schilddrüsen-Hormonwerten im Blut klagen Leidende über Herzklopfen, zittrige Hände, innere Unruhe, Stimmungsschwankungen, Durchfall oder eine unbegründete Gewichtsabnahme.
Wie können sich Nicht-Betroffene das genau vorstellen?
Patient*innen fühlen sich dann so, als ob sie jeden Tag einen Halbmarathon laufen würden. Das führt auf Dauer zu einer Erschöpfung – physisch und psychisch. Wer nicht handelt, riskiert einen vorzeitigen Verschleiss des Körpers. Besonders das Herz-Kreislauf-System und die Knochen sind davon betroffen.
Gibt es eine Risikogruppe?
Morbus Basedow betrifft eher junge Frauen. Allerdings leiden Frauen im Allgemeinen häufiger an Schilddrüsenerkrankungen. Für das Warum gibt es noch keine medizinische Begründung. Wir gehen davon aus, dass genetische Faktoren und Hormonschwankungen während einer Schwangerschaft oder der Menopause mögliche Gründe dafür sind.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es nach einer Diagnose?
Wird Morbus Basedow durch einen Bluttest im Labor bestätigt, gibt es drei Möglichkeiten: eine Operation, radioaktives Jod oder Medikamente.
Was sind die Vor- und Nachteile?
Bei einer Operation wird die gesamte Schilddrüse entfernt, weil sonst die im Blut vorhandenen stimulierenden Antikörper die Restschilddrüse weiter anregen und die Überfunktion zurückkehrt. Der Vorteil eines chirurgischen Eingriffs ist, dass Betroffene in der Regel nur eine Nacht im Spital verbringen müssen und die Überfunktion sofort geheilt wird. Andererseits ist dafür eine Vollnarkose nötig.
Was, wenn ein chirurgischer Eingriff keine Option ist?
Dann kommen spezielle Medikamente zum Einsatz. Diese müssen während ein bis eineinhalb Jahren eingenommen werden, um die hochaktive Hormonproduktion zu bremsen. Allerdings führen sie nur bei jeder zweiten Person zum gewünschten Erfolg. Bei den anderen kehrt Morbus Basedow im schlimmsten Fall wieder zurück.
Auch bei der Radiojodtherapie?
Hierbei handelt es sich um eine wenig invasive Therapie, bei der radioaktives Jod getrunken wird, das die überaktiven Areale zerstört. Diese Behandlung wirkt schnell, ohne eine sichtbare Operationsnarbe am Hals. Wer sich dafür entscheidet, muss allerdings aufgrund des schweizerischen Strahlenschutzgesetzes drei bis vier Tage in einer nuklearmedizinischen Therapiestation verbringen.
Wann empfehlen Sie dennoch eine Operation?
Dazu rate ich Frauen mit baldigem Kinderwunsch. Denn eine medikamentöse Therapie schlägt meistens nicht sofort an, und nach einer Radiojodtherapie sollten sie sechs Monate mit einer Schwangerschaft warten. Sinnvoll ist eine OP auch dann, wenn die Schilddrüse stark vergrössert ist. In diesem Fall ist viel radioaktives Jod und dementsprechend auch ein längerer Spitalaufenthalt nötig. Auch Medikamente müssen über einen längeren Zeitraum hoch dosiert werden.
Was, wenn eine Patientin bereits schwanger ist?
Werdende Mütter werden in der Regel medikamentös behandelt, weil das Operationsrisiko hoch ist und radioaktives Jod während einer Schwangerschaft nicht eingesetzt wird. Eine Operation empfehle ich – wenn überhaupt – nur ab dem zweiten Drittel der Schwangerschaft respektive nach der Geburt.