Machen wir uns doch nichts vor, die Nerven liegen blank. Selbst dem, der meint, er habe die Situation, sich selbst und das Life generell im Griff, flutscht plötzlich das Herz in die Hose, wenn die fein säuberlich ausgetüftelte Quarantäne-Routine auch nur millimeterweit vom Sicherheit gebenden Kurs abkommt. Ängste sind auf einmal ganz unangenehm omnipräsent, die Nerven gespannt wie eine pralle Wasserbombe und allein das Atmen unseres Gegenübers kann unser Stresslevel durch die Decke jagen. Nö, tiefenentspannt ist gerade wirklich niemand.
Was wir dabei trotzdem auf keinen Fall vergessen dürfen: Wir befinden uns in einer Extremsituation. Einer temporären, wohl gemerkt. Sich jetzt von der Gefühlsachterbahn mitreissen zu lassen und impulsive Entscheidungen zu treffen, wäre … wie formulieren wir es am besten? Dumm.
Die Probleme sind nicht neu, sondern nur neu im Fokus
Der Typ oder das Mädel, mit dem ihr eure Wohnung teilt, kommt euch plötzlich unerträglich und wie ein Klotz am eh schon krisen-schweren Bein vor? Dipl.-Psych. Nicole Engel hat News für euch: «All das, was an Themen zwischen Paaren jetzt zum Vorschein kommt, war auch schon vorher da. Vielleicht haben wir einfach funktioniert und aus Gewohnheit so weitergemacht wie immer, obwohl wir nicht glücklich waren. Jetzt in der Krise sollten wir deshalb nicht alles hinschmeissen, sondern akzeptieren, dass es unangenehme zwischenmenschliche Themen gibt, die genau jetzt angegangen und nicht verdrängt werden sollten.»
Anstatt sich auf alles Negative einzuschiessen, rät sie, sich lieber auf das zu konzentrieren, was in eurem Zweiergespann immer noch wie geschmiert läuft. Auf die eingespielten Skills, die euch als Paar ausmachen – oder zumindest mal ausgemacht haben.
Stabilität und Sicherheit sind jetzt das A und O. Der Anker, der uns in diesem Sturm der Emotionen am Boden hält quasi. Rupfen wir den aus seiner Fassung, müssen wir uns bewusst sein, dass das eine weitere Veränderung bedeutet. Noch mehr Gefühle, noch mehr zu verarbeiten, noch mehr Speed in der Achterbahn.
«Wir sind von Natur aus Gewohnheitstiere. Unser Gehirn mag keine Veränderung. Wir sind auf Sicherheit und Kontrolle ausgerichtet. Und diese beide Komponenten sind gerade ohnehin schon komplett weggefallen»,
weiss Nicole Engel.
Apropos Gewohnheitstier. Was macht eigentlich der/die Ex? Diese Frage hat sich in den letzten paar Wochen wahrscheinlich der ein oder andere Single ein-, zwei, siebenmal gestellt. Erwischt? Ihr müsst nicht rot werden – auch das ist laut der Fachfrau völlig plausibel: «Wir erleben gerade einen Overload der psychischen Belastungen. Da liegt der Gedanke, einen eigentlich schon längst aussortierter Ex wieder zu kontaktieren, weil er zur alten Gewohnheit und damit Stabilität gehörte, natürlich nahe.»
Die Moral von der Geschichte
Lange Rede, kurzer Sinn. Worauf wir (höchstwahrscheinlich) hinaus wollen, ist Folgendes: Trefft keine überstürzten Entscheidungen, weil sie euch gerade wie das Gelbe vom Quarantäne-Ei vorkommen. Es gab ein Leben vor dem Lockdown – als ihr euren Partner noch ertragen habt, eigentlich alles recht rund lief und der/die Ex aus diversen triftigen Gründen zu eben diesem degradiert wurde. Und so wird es auch ein Leben nach dem Lockdown geben, wenn von dem tosenden Sturm nicht mehr als ein laues Lüftchen zurückbleibt, die Achterbahn müde in ihre Garage gezuckelt ist und wir realisieren, dass wir vielleicht ein biiisschen überreagiert haben.
«Es wird einfacher, wenn wir uns auf elementare Bedürfnisse konzentrieren, Schlaf, Mahlzeiten, … Und ganz wichtig in Beziehungen: ein guter Umgang miteinander. Der kommt häufig erst recht zu kurz, weil wir oft einen Grund für unsere Unsicherheiten oder unangenehmen Gefühle im Gegenüber suchen. Angst und Aggression sind unsere schlechtesten Ratgeber. Je mehr wir diesen Emotionen jetzt folgen, desto schwerwiegender sind möglicherweise Fehlentscheidungen wie die, sich plötzlich vom Partner zu trennen.»
Mehr zu Nicole Engel und dem PSYCHOLOGICUM Berlin gibt es HIER >