«Wenn ihr durch die Hölle geht, geht weiter», heisst eine bekannte Lebensweisheit aus den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Ein Zitat aus einer Zeit, die weit weg scheint – und doch tauchte es in den letzten Monaten wieder auf Social-Media-Plattformen auf. Weil es die Eigenschaften ausdrückt, die wir in Krisenzeiten besonders brauchen: Durchhaltevermögen, Resilienz, innere Stärke. All das ist nötig, um in der hitzigen Phase nicht in eine Schockstarre zu verfallen oder gar aufzugeben. Die Devise soll lauten: Kopf hoch, Blick voraus.
Voraus und gegen Norden, dort finden wir nämlich die Profis in innerer Stärke. Der Begriff Sisu steht in Finnland für eine Art Lebensphilosophie, bei der man sich auch in schwierigen Zeiten auf seine mentale Kraft verlässt. Sie scheint aufzugehen, sind die Finninnen und Finnen doch nachweislich das glücklichste Völkchen der Welt. Eine genaue Übersetzung gibt es nicht, aber Sisu heisst so viel wie Ausdauer, Beharrlichkeit oder Kampfgeist. Irgendwie überrascht es nicht, dass Ausdauer zur nordischen Nationalidentität gehört, schliesslich ist der strenge Winter zum Beispiel in Lappland schier endlos lang. Aber eben, hier geht es nicht um kalte Tage, sondern um fordernde Wochen, die uns die Hölle heissmachen. Wie schaffen wir es, uns nicht unterkriegen zu lassen, wenn der Job gekündigt wird, eine langjährige Beziehung kaputtgeht oder – Gott bewahre – plötzlich eine Pandemie ausbricht, die unser aller Leben komplett auf den Kopf stellt?
Um das herauszufinden, haben wir mit Antoinette Wenk gesprochen, Expertin zum Thema Resilienz, das den wohl wichtigsten der fünf Pfeiler des Sisu-Konzepts darstellt. Auch die weiteren vier dazugehörigen Eigenschaften haben wir unter die Lupe genommen: Zielsetzung, Ehrlichkeit, Beharrlichkeit und Stressmanagement. «Gelingt es uns, all diese Pfeiler in guten Zeiten vorsorglich zu kräftigen, machen uns Herausforderungen hauptsächlich stärker, indem wir am daraus Gelernten wachsen statt eingehen», sagt Wenk. Niemand will das hören, wenn die Hütte brennt. Deshalb sagen wirs jetzt: Lassen Sie uns für die nächste Krise üben (sie kommt bestimmt ...). Sodass wir uns im Fall der Fälle wie die finnischen Vorbilder von der eigenen mentalen Stärke durchs Feuer tragen lassen können.
Die 5 Sisu-Pfeiler
1. Resilienz
Erinnern Sie sich an die hölzernen Stehaufmännchen, die man mit einem Knopf an der Unterseite in die Knie zwingt? Genau das sind wir in einer Krise – und das ist okay. Wichtig ist, dass wir, genau wie die Figur, schnell wieder aufstehen. Je resilienter wir sind, desto rascher passiert das. Resilienz steht für das Zurückspringen nach Rückschlägen und für die psychische Widerstandskraft. Antoinette Wenk, Co-Gründerin des Resilienz Zentrum Schweiz, hat unsere Fragen dazu beantwortet.
Style: Wie können wir unsere Resilienz nachhaltig stärken?
Antoinette Wenk: Unter anderem indem wir an Optimismus, Kreativität und Achtsamkeit arbeiten. Allgemein gilt: Resilienz pflegt sich in guten Zeiten. Zum Beispiel kann ich dann einfacher üben, meinen Blick auf das Gute zu richten, indem ich mir jeden Tag etwas notiere, das positiv war. Auch hilfreich ist es, eine Tagesstruktur aufzubauen, auf die man in schwierigen Zeiten zurückgreifen kann.
Was, wenn wir schon mitten in einer Krise sind?
Hier ist Selbstverantwortung ganz wichtig. Statt einem Opferdenken zu verfallen, fragen Sie sich: Was kann ich gerade tun, um die Situation zu verbessern? So kommen Sie in die Handlungs- ebene und fokussieren sich nicht auf all das, was Sie sowieso nicht ändern können. Vielleicht sind diese Verbesserungen lediglich kurze Pausen, in denen Sie bewusst durchatmen oder sich bewegen, tanzen tut zum Beispiel gut. Auch ganz wichtig: Nicht in die grösste Falle einer Krise tappen und denken, sie geht nie mehr vorbei. Alles kommt und geht. Einige Menschen scheinen von Natur aus resilienter als andere.
Woran liegt das?
Was wir in Seminaren feststellen, ist, dass sich sehr resiliente Menschen gut in Balance bringen können und Dinge selber in die Hand nehmen. Diese ausgeprägte Resilienz hat ihren Ursprung zu einem kleinen Teil in Genen, einen grösseren Einfluss haben aber die Sozialisierung, die Lebensumstände und der Lebensstil. Studien haben gezeigt, dass Kinder, die in schwierigen Verhältnissen aufwachsen, resilienter sind als andere – unter einer Bedingung: Sie hatten jemanden in ihrem Umfeld, der an sie glaubte und sie unterstützte. Eine solche emotionale Bindung ist ein wichtiger Resilienz-Booster.
Das finnische Sisu-Konzept setzt neben Resilienz auf Zielsetzung, Ehrlichkeit, Beharrlichkeit und Stressmanagement. Wie passen diese Eigenschaften zusammen?
Indem sie alle unsere Widerstandskraft fördern. Viele der Faktoren spielen auch beim Resilienztraining eine Rolle, Stressmanagement habe ich mit dem bewussten Atmen bereits angesprochen, Ehrlichkeit kann als Achtsamkeit gegenüber sich selber gesehen werden: Was nimmt mir Energie, wo kann ich sie wieder holen? Ehrlichkeit hat auch mit Akzeptanz zu tun und damit, weder etwas zu verschönern noch zu verschlimmern. Das alles hilft, unsere Toleranz gegenüber Krisen zu erhöhen.
2. Zielsetzung
Um mit dem Sisu-Geist motiviert und selbstbewusst voranzugaloppieren, brauchen wir ein Ziel, an dem wir uns orientieren. Gewissermassen das Rüebli, das vor dem Esel baumelt. Allerdings: Nur wer das Goodie gut einsetzt, profitiert davon und kann seine Ziele als eine Art inneren Kompass gebrauchen, wenns stürmisch wird.
Zuerst einmal gilt es, die Balance zu finden: Was fordert mich heraus, ist aber trotzdem erreichbar? Hoch gesteckte Ziele sind gut und recht, wer zu ambitioniert denkt, wird aber bald entmutigt aufgeben. Wer seine Zielsetzung weiter ausklügeln will, orientiert sich an der bekannten Smart-Formel des amerikanischen Unternehmensberaters Peter Drucker. Die lässt sich nämlich mit ihren Attributen – spezifisch, messbar, ansprechend, realistisch und terminiert – nicht nur im Job, sondern auch im Privatleben anwenden. Schliesslich spielt es keine Rolle, ob die persönlichen Ziele gross sind oder nur den täglichen Apfel (oder das Rüebli) beinhalten. Auf etwas hinzuarbeiten oder gar etwas zu erreichen, tut gut, gibt Struktur und hilft auch während Krisen, klitzekleine Erfolge zu feiern. Die Welt retten wir dann im nächsten Monat ...
3. Ehrlichkeit
Der Ruf eilt ihnen voraus: Finninnen und Finnen reden nicht um den heissen Brei herum. Einfach weil sie nicht unnötig viel Worte verlieren wollen. Genauso pragmatisch sind sie gemäss ihrer Sisu-Philosophie auch gegenüber sich selber. Selbstehrlichkeit könnte die finnische Schwester der Selbstliebe sein. Und die hat was drauf: Wer es schafft, seine Limitationen ernst zu nehmen, nimmt besser wahr, wenn etwas nicht mehr stimmt. So verhindert man übermässigen Stress, erkennt Krisensituationen früh und bringt sich selber in Balance.
4. Beharrlichkeit
Zugegeben, kein attraktives Wort. Aber eine Eigenschaft, die einen weit bringen kann und das Durchhaltevermögen stärkt. Menschen mit wenig Beharrlichkeit geraten nämlich irgendwann in einen Teufelskreis: Das schlechte Gefühl, nichts zu Ende zu bringen, mindert das Selbstbewusstsein. Und das wiederum mindert die Motivation, sich mit voller Kraft einer Aufgabe zu widmen. Also los! Beharrlichkeit trainieren. Wie? Klare Ziele setzen, Sie wissen schon – realistisch und erreichbar. So halten wir lange durch, bleiben so selbst- bewusst wie möglich und halten den Blick nach vorne gerichtet, auch wenn die Gegenwart nicht rosig aussieht.
5. Stressmanagment
Mal ehrlich: Es gibt nicht viele Investitionen, die sich wirklich lohnen. Sich um seinen Umgang mit Stress zu kümmern, gehört aber definitiv dazu. Dafür brauchts kein Geld, aber Geduld. Der Prozess beginnt mit der eigentlich einfachen Frage: Was löst bei mir Stress aus? Sind die Trigger gefunden – Deadlines, Streit, zu viele Verabredungen –, beginnt die eigentliche Arbeit. Die besteht darin, einerseits die Trigger wenn möglich zu vermindern, andererseits Techniken zu erlernen, die uns mit dem dazugehörigen Stress besser umgehen lassen. Wir stellen drei Möglichkeiten vor. Ausprobieren lohnt sich – auch langfristig.
Technik 1: Body-Scan
Die Achtsamkeitsübung holt einen ins Jetzt und wirkt entspannend. Hinsetzen oder -legen, Augen schliessen und den Körper von oben bis unten langsam und ohne Bewertung scannen: Wie fühlt sich mein Kopf an, wie meine Beine?
Technik 2: Single-Tasking
Das früher gelobte Multitasking fördert Stress. Üben Sie stattdessen, sich einer einzelnen Aufgabe zu widmen und sich nicht ablenken zu lassen. So kommen Sie schneller und effektiver voran.
Technik 3: Hüpfen
Der österreichische Psychologe Johann Beran schaut bei den Affen ab. Die würden bei Stress gemeinsam herumhüpfen. Wieso das auch uns hilft? Die schnellen Bewegungen bauen das Stresshormon Cortisol ab.
Was macht ihr, um in harten Zeiten positiv zu bleiben? Verratet es uns in den Kommentaren.