Eliane Etter, kann ein Baby schon übergewichtig sein?
Nein, bei gestillten Babys sehen wir das nicht. Bei Babys mit Schoppenmilch stehen die Richtwerte bezüglich der Trinkmengen auf der Verpackung. Wie oft und wie viel Ihr Kind pro Tag trinkt, kann zwar deutlich von diesen Richtwerten abweichen. Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Ihr Kind weniger trinkt, und zwingen Sie es nicht zum Leertrinken. Wenn ein Kind häufiger den Schoppen verlangt, kann man ihm getrost öfters einen geben. Das Gewicht des Kindes gibt einen guten Hinweis, ob die Trinkmenge angemessen ist. In der Praxis habe ich noch nie ein übergewichtiges Baby betreut. Babys haben von Natur aus einen höheren Fettanteil, das ist völlig normal und ungefährlich. Ein Baby trinkt so viel, wie es benötigt, und hört auf, wenn es satt ist. Eltern dürfen ihrem Kind vertrauen.
Ab welchem Alter wird es kritisch, wenn ein Kind zu viel wiegt?
Fachpersonen nutzen Perzentilenkurven, um Gewicht und Körperlänge in Relation zu setzen. Diese Kurven zeigen, wie sich Gewicht und Grösse im Verlauf der Zeit und im Vergleich zu einer Norm, entwickeln. Dabei gibt es eine grosse Bandbreite, was als «normal» gilt. Es ist daher wichtig, dass Eltern nicht zu früh vergleichen oder beurteilen. Wenn ein Kind plötzlich mehr Gewicht zulegt, als es in die Länge wächst, wird die Fachperson genauer hinschauen. Meistens geschieht dies im Rahmen eines Termins in der Kinderarztpraxis.
Kann man bereits im jungen Alter Übergewicht vorbeugen?
Ja, unbedingt. Eltern haben hier eine entscheidende Rolle. Es geht darum, Kindern einen entspannten Umgang mit dem Essen beizubringen und am besten vorzuleben. Kochen Sie ausgewogene Mahlzeiten und machen Sie Ihr Kind neugierig auf neue Lebensmittel. Seien Sie nicht beunruhigt, wenn es mal nicht essen möchte. Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, ein bewegungsorientiertes Hobby zu finden.
Sind Kinder übergewichtiger Eltern eher gefährdet, übergewichtig zu werden?
Ja, Übergewicht hat eine genetische Komponente. Fachpersonen betrachten Adipositas heute als chronische Erkrankung, bei der die Gene eine bedeutende Rolle spielen. Allerdings ist der Ursprung von Adipositas medizinisch noch nicht vollständig geklärt. Bei hochgewichtigen Menschen scheint das natürliche Regulationssystem des Körpergewichts gestört zu sein. Trotz intensiver Forschung gibt es keine abschliessende Erklärung. Eine ausgewogene Ernährung und regelmässige Bewegung ist jedoch eine wichtige präventive Massnahme – für alle Eltern.
Was, wenn mein Kind kaum Früchte und Gemüse, sondern nur Kohlenhydrate essen will?
Kohlenhydrate sind ein wichtiger Bestandteil der Ernährung, aber sie sollten nicht alles dominieren. Eltern haben die Aufgabe, zu jeder Mahlzeit auch Gemüse, Früchte und proteinhaltige Lebensmittel anzubieten. Kinder orientieren sich oft am Vorbild der Erwachsenen. Spielerische Ansätze können helfen die Neugier zu wecken: Lassen Sie Ihr Kind Erbsen mit einem Zahnstocher essen oder Weissbrot aus einer Gemüsesuppe «fischen». Vermeiden Sie Druck, denn dieser führt selten zum Ziel. Bieten Sie stattdessen unaufgeregt eine Vielfalt an Lebensmitteln an. Zeigen Sie weder übertriebene Freude noch Strafen Sie ihr Kind, wenn es bei dieser Mahlzeit kein Gemüse gegessen hat. Vielleicht klappt es ja das nächste Mal?
Ab wann sollte man ein zu schweres Kind auf Diät setzen?
Eine Diät zur Gewichtsabnahme ist für Kinder nicht geeignet. Legen Sie den Fokus auf die Umsetzung ausgewogener Mahlzeiten. Zum Beispiel, bieten Sie ihrem Kind alle Nährstoffe an pro Mahlzeit? Manchmal ergibt sich schon durch diese kleine Umstellung eine Gewichtsstabilisation. Manchmal ist die Umsetzung schwierig und ungewohnt, so suchen wir im Beratungssetting nach individuellen Ideen und Möglichkeiten kleine Änderungen in den Kinderalltag zu integrieren. Meistens kommen von den Kindern direkt sehr gute Ideen, die wir nutzen. Ob sich das Gewicht dann stabilisiert, hängt nicht nur vom Essen ab.
Was sind die gesundheitlichen Risiken bei übergewichtigen Kindern?
Die grösste gesundheitliche Belastung bei Kindern mit Übergewicht ist die psychische: Mobbing und Ausgrenzung sind leider häufig. Hier müssen wir als Gesellschaft ansetzen und sofort handeln. Zusätzlich kann es bereits im Kindesalter zu Stoffwechselveränderungen kommen, welche vom Kinderarzt behandelt werden müssen.
Wenn ein Kind schon zu schwer ist: Wie gelingt die Gewichtsregulation am besten?
Adipositas ist eine chronische Erkrankung, die schon im Kindesalter beginnen kann und eine lebenslange Therapie erfordert. Eine Umstellung auf eine ausgewogene Ernährung und regelmässige Bewegung ist grundsätzlich wichtig, egal wie schwer das Kind ist. Ob sich nach der Umstellung das Gewicht dabei «normalisiert», liegt jedoch nicht vollständig in unserer Hand. Es gibt unterschiedliche Körperformen, diverse genetische Voraussetzungen und alle sind in Ordnung.
Wie soll man mit Kindern über ihr Übergewicht sprechen?
Ändern Sie als Eltern den Gesprächs-Fokus. Sprechen Sie nicht über das Übergewicht, sondern fragen Sie Ihr Kind, wie es seinen Körper gut und wertschätzend umsorgen kann. Lehren Sie ihr Kind Selbstführsorge auch in Bezug auf den Körper. Was braucht der Körper damit er sich gesund entwickeln kann unabhängig von der Körperform. Die gesunde Körperform ist bei jedem Menschen anders und individuell. Ich empfehle, das Thema nicht unnötig aufzubauschen. Es ist auch nicht nötig, Lebensmittel in «gesund» und «ungesund» einzuteilen. Machen Sie Ihren Teil und bieten Sie eine ausgewogene Ernährung an – mit Gemüse, Salat, einem Stärkeprodukt und proteinhaltigen Lebensmitteln. Verwenden Sie vor allem unverarbeitete Produkte.
Nehmen Kinder in der Pubertät eher zu?
Das ist unterschiedlich. Jungen legen in der Pubertät oft an Muskelmasse zu, während Mädchen eher Fettmasse aufbauen. Beides ist hormonell bedingt und völlig normal. Nur ist das eine von den Jungs gewollt und willkommen. Bei den Mädchen ist dieser Prozess meist mit Frust verbunden und dem Wunsch nicht zuzunehmen oder abzunehmen. Es ist völlig normal in der Pubertät an Gewicht zuzunehmen, das ist so vorgesehen.
Was, wenn mein Teenager unkontrolliert Süsses, Chips, Pizza und Cola konsumiert?
Dieses Verhalten ist in der Teenagerzeit völlig normal. Schliesslich beginnt Ihr Kind in diesem Alter, sich von den Eltern zu lösen und eigene Erfahrungen zu sammeln – auch bei der Ernährung. Ihr Teenager macht ein wichtiger Schritt in Richtung Selbstständigkeit. Erlauben Sie Ihrem Kind, mit Lebensmitteln zu experimentieren, und bleiben Sie gelassen. Gleichzeitig können Sie weiterhin einen wichtigen Beitrag leisten, indem Sie bei den gemeinsamen Mahlzeiten ausgewogene Speisen angeboten haben und weiter anbieten. Es ist eine Phase, in der Vertrauen und Vorbildwirkung wichtiger sind als strikte Regeln.
Wie viele Süssigkeiten sind «erlaubt»?
Unser Körper braucht keinen einzigen Nährstoff, der aus Süssigkeiten kommt. Nicht, dass es keine Nährstoffe drin hat, vielmehr essen wir diese schon beim Hauptgang. Darum brauchen wir keine Süssigkeiten, um zu überleben. Dennoch sind sie natürlich lecker und um die Esslust zu stillen, kann gemäss der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE) eine kleine Portion pro Tag in Ordnung – etwa so gross wie die Hand des Kindes. Das könnte ein Schokoriegel, eine Kugel Glace oder ein paar Guetzli sein.
Können Kinder durch zu viel Zucker an Diabetes erkranken?
Es gibt viele verschiedene Arten von Diabetes. Kinder können diverse Arten schon im Kindesalter bekommen. Was Sie ansprechen, ist wohl am ehesten der Diabetes Typ 2 (früher Alterszucker genannt) gemeint. Das ist eine Stoffwechselerkrankung. Dazu benötigt es eine genetische Veranlagung. Kinder mit dieser Veranlagung können als Folge von hohem Gewicht bereits früh erkranken und nicht nur in höherem Alter Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Packung Gummibärchen automatisch zu Diabetes führt. Gelegentlicher Zuckerkonsum allein ist nicht entscheidend.