Mein Sohn ist sehr körperbewusst. Er träumt von einem Sixpack, obwohl er erst zehn Jahre alt ist. Auch sein Freund möchte Muskeln und einen definierten Bauch haben. Gemeinsam machen sie fast täglich Kraftübungen oder gehen Joggen. Sie halten sich an einen Trainingsplan, den sie im Netz gefunden haben. Nun möchten sie sogar auf Kohlenhydrate verzichten. Ich möge ihm doch vermehrt Gemüse und Fisch auftischen, fordert er. Ist das noch normal oder sollte ich einschreiten? — Diana
Liebe Diana
Wir leben in einer Zeit und in einer Gesellschaft, in der das äussere Erscheinungsbild für viele eine wichtige Rolle spielt. Durch das Internet werden immer neue Idole bekannt, die aktuelle Schönheitstrends verbreiten.
Bereits Kinder träumen von modellierten Oberkörpern und Sixpacks. Themen wie Aussehen, Ernährung und Lifestyle beschäftigen viele bereits im vorpubertären Alter. «Sie probieren sich selbst und ihren Einfluss aus, testen ihre Selbstwirksamkeit. Viele werden auch vom Verhalten und Vorbild der Eltern geprägt oder wenigstens beeinflusst», sagt Kurt Albermann, Chefarzt im Sozialpädiatrischen Zentrum SPZ und Stv. Direktor Departement Kinder- und Jugendmedizin am Kantonsspital Winterthur.
Er behandle leider immer wieder Kinder, die durch ungünstige Vorbilder oder Influencer*innen in den Sozialen Medien zu altersunangemessenem Verhalten verleitet wurden. Das Erschreckende: die Patienten seien immer jünger!
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Für einen muskulösen Body, wie ihn etwa Jugendidol Justin Bieber hat, legen sich heute bereits Zehnjährige ins Zeug. Sie halten Diät und essen strikt nach Speiseplan. Auf den Teller kommen proteinreiche Nahrungsmittel wie Pouletbrust, Hüttenkäse, Eier oder Brokkoli. Dazu trinken sie Magermilch und ganz viel Wasser. Süssgetränke und zuckerhaltige Speisen sind selbstverständlich tabu.
Dein Sohn ist nicht der Einzige, der morgens mit einem Bauchtraining in den Tag startet und am Mittag auf Kohlenhydrate verzichtet. Auch ich kenne einen Schüler, der mit knapp zehn Jahren bereits auf seine Ernährung achtet und dem Körper zuliebe eine Zeit lang mehr Gemüse verdrückte und offensichtlich freiwillig auf das zweite Stück Kuchen verzichtete.
Doch lange hat er das nicht durchziehen können. Zu verlockend waren die Menüs, welche er und der Rest der Familie von Mama serviert bekommen haben. Ganz klar mit der Absicht, ihren Jungen umzustimmen, hat die Mutter die leckersten Gerichte gekocht. Mit Erfolg: Irgendwann ass der Schüler wieder mit. Die Phase ist jetzt vorbei.
Ein solches Wahnsinns-Training, das an Selbstkasteiung grenzt, ist in diesem Lebensalter weder notwendig noch sinnvoll, findet auch Albermann. Und beruhigt: Viele Kinder, die versuchen, eine Ernährungsumstellung und hartes Training durchzuziehen, scheitern von selbst an mangelndem eisernem Willen, Hartnäckigkeit und Disziplin. «Viele beginnen mit Trainings oder Diäten und beenden diese mangels Ausdauer oder ausreichender Sinnstiftung wieder», sagt der Fachmann. Abwarten sei für manche Eltern eine nützliche Strategie.
Richtig ernst werde es dann, wenn sich jemand über Wochen «dauerhaft einseitig oder fehlerhaft ernährt oder massiv trainiert. Wenn es wegen andauernder Beschäftigung mit dem Thema Essen anderes vernachlässigt, hungert, eine Körperbildstörung entwickelt, sich aufgrund einer Fehlwahrnehmung seiner Körpermasse zu dick findet und sein Gewicht reduziert», sagt Albermann.
Spätestens dann sollte sich die Familie von ihrem Kinder- oder Hausarzt beraten lassen. Je nach Kontext kann auch eine Erziehungsberatung nützlich sein. Entsprechende Anlaufstellen gibt es in jedem Kanton oder auch in grösseren Gemeinden.
Liebe Diana, weisst du, warum sich dein Sohn so abmüht? Für wen er das alles macht? Was ist der wahre Grund für seinen Eifer? Wer lobt ihn dafür? Will er seine Kollegen beeindrucken? Oder einem Mädchen gefallen? Oder gar einfach seinem Vater oder dir nacheifern? Will er fit sein? Oder wünscht er sich am Ende einfach mehr Aufmerksamkeit? Frag ihn doch einfach mal.
In diesem Zusammenhang ist Aufklärung wichtig: Lass deinen Sohn wissen, dass nicht wenige der perfekten Bilder in den Sozialen Medien gefaked, sprich stark bearbeitet, sind und nicht der Realität entsprechen. Erkläre ihm, dass es sich um ein Geschäftsmodell handelt. Viele Kinder sind sich dessen nicht bewusst.
Du könntest auch versuchen, ihm einen gesunden Zugang zum Sport zu vermitteln. Vielleicht kannst du ihn für einen Mannschaftssport begeistern. Wie wärs mit Basketball, Handball oder Unihockey? Generell ist ja nichts verwerflich daran, wenn sich ein Kind fit hält und bewusst und gesund ernährt – im Gegenteil! Solange das Training im Rahmen bleibt. Ein Teamsport ist da ideal und obendrauf auch noch gut für soziale Kontakte.
Ich wünsche dir viel Glück und hoffe, dass diese Phase bald vorüber geht!
Herzlich, Romina
Unsere Expertin für Familienfragen
Nie waren Eltern so gut informiert wie heute. Und nie war es schwieriger, im Dschungel aus Ratgebern und Internetforen den besten Weg für den eigenen Nachwuchs zu finden. Unsere Familien-Expertin Romina Brunner hilft, Ordnung zu schaffen. Regelmässig berät die zweifache Mutter und Journalistin die SI-Family-Community zu Themen und Fragen aus dem Familienalltag.