TV–Koch Tim Raue (50) hat es geschafft. Aufgewachsen im Problemviertel Berlin–Kreuzberg schaffte er dank seiner Leidenschaft fürs Kochen den sozialen Aufstieg und gilt seit vielen Jahren als einer der besten Köche Deutschlands. Doch sein Weg dorthin war durchaus steinig; auch seine Mitgliedschaft in einer berüchtigten Berliner Strassengang hätte ihn beinahe vollends auf die schiefe Bahn bringen können. «Ich komme aus sehr einfachen Verhältnissen aus dem Stadtteil in Berlin, der bis heute ein sozialer Brennpunkt ist», erklärt Tim Raue.
Am Rande der Präsentation des neuen Selbstversorger–Kits der Firma Neudorff mit saisonalem Saatgut und Hilfsmitteln für den Anbau im Garten oder auf dem Balkon sprach Raue davon, dass er als Kind kulinarisch noch überhaupt nicht auf der Höhe gewesen sei. Ganz im Gegenteil: «Ich habe als Kind tatsächlich nicht so das Glück gehabt, regelmässig Essen zu bekommen. Auch warmes Essen habe ich selten gekriegt.» Wenn es für ihn im Hort etwas gegeben hätte, dann wäre das auch keine sinnvolle Ernährung gewesen, sondern im besten Fall eine «billige Allgemeinverpflegung».
Tim Raue fordert mehr Fokus auf gesunde Ernährung
Das sei etwas, wo man als Gesellschaft in seinen Augen nachbessern sollte. Man müsse verstehen, dass die Lebenszeit in absoluter Verbindung damit stehe, wovon man sich ernähre, erklärt der mehrfach prämierte Sternekoch. Es könne auch nicht gut sein, «unseren Kindern Essen für 1,70 Euro am Tag» zu geben. Dort müsse man investieren. Auch er habe erst viel später in seinem Leben gemerkt: «Mit den neuesten Nike–Sneakern ernähre ich mich nicht besser. Wenn ich mich aber gesund ernähre, geht es mir viel besser.»
Für eine ideale und gesunde Ernährung gehören für Tim Raue in erster Linie auch saisonales und regionales Gemüse sowie natürlich auch seine geliebten Kräuter, wie er betont – aber wenig Fleisch: «Gemüse ist für mich mehr als gleichwertig.» Auch in seinen Restaurants habe er seit fünf Jahren schon ein veganes Menü – und es mache unheimlich viel Spass, damit zu arbeiten. «Die Schwierigkeit mit Gemüse und vor allen Dingen auch mit der veganen und vegetarischen Küche ist, dass wir in einer Gesellschaft gross geworden sind, in der Fleisch die höchste Wertschätzung hatte, weil es das Teuerste war.» Er selbst versuche, sich mindestens zwei bis drei Tage pro Woche vegan zu ernähren, «weil ich merke, dass ich an den Tagen danach leistungsfähiger bin».
Und dass eine pflanzliche Ernährung nicht langweilig sein muss, demonstrierte er beim Neudorff–Event den anwesenden Influencern mit einer Verkostung, bei der er aus den Gemüsen des Selbstversorger–Kits einige Gerichte kreierte. Zum Beispiel Tomaten mit Passionsfrucht und schwarzem Pfeffer oder Fenchel mit japanischem Reisessig, Birne und Parmesan.
Tim Raue möchte sich nicht 100 Prozent vegan ernähren
Eine komplette Umstellung lehnt Raue jedoch ab: «Wir sollten uns nicht 100 Prozent vegan ernähren, dafür ist unser menschlicher Körper auch nicht gemacht.» Auch das Oberlehrerhafte an vielen Veganern ärgere ihn manchmal: «Das ist immer Fluch und Segen zugleich, wenn man in einer grossen Stadt lebt, weil jeder Trend hoch– und runtergebastelt wird.» Berlin–Mitte sei dabei das Epizentrum: «Die Gesamtattitüde, die Sprache, der erhobene Zeigefinger, das geht mir extrem auf die Nerven. Ich finde das nicht geil.» Man sollte «normaler» an die Sache herangehen und auch in der Schule sollte vermittelt werden, dass viele Dinge, die im Supermarkt stehen, «Industriedreck» seien: «Das musst du nicht essen!» Man müsse ein Gefühl für gute Ernährung bekommen.
Seine Frau, die Journalistin Katharina Wolschner, überrascht Tim Raue im Übrigen kulinarisch nicht selbst: «Das einzige, was wir mit Sicherheit niemals zusammen machen werden, ist kochen.» Er sei in der Küche kein sozial kompatibles Wesen: «Ich stelle mich sofort hin und sage: ‹Pfanne, Butter, komm! Teller hoch, zack, zack, zack! Den Fisch vorbereiten! Hast du den Dämpfer auf 80 Grad gestellt?› Und dann steht sie da und sagt: ‹Nein›.» Für ihn und seine Frau sei es deswegen viel entspannter, gemeinsam essen zu gehen und so Zeit zusammen zu verbringen: «Wir trinken sehr, sehr gerne sehr guten Wein. Wir essen sehr, sehr gerne sehr gutes Essen.»