«Ich bin ein Bünzli und verabschiede mich pünktlich mit 65 in den Ruhestand.» Bernhard Schär oder besser Berni, wie ihn alle rufen, strotzt vor Energie. Er empfängt in seinem Einfamilienhaus im aargauischen Küngoldingen zusammen mit Gattin Ursula, 57, und Sohn Jonas, 18, und präsentiert trotz den frühsommerlichen Temperaturen stolz ein Paar Ski: «Die habe ich vom Verband als Abschiedsgeschenk erhalten. Es ist das erste Paar von einer limitierten Serie von nur 607 Stück – für jeden Schweizer Weltcupsieg.»
Schär spricht wie aus der Pistole geschossen. Aber was er sagt, hat Hand und Fuss – so wie er seit drei Jahrzehnten am Radio über die Sportereignisse rund um den Globus berichtet.
Seinem Lieblingsmedium immer die Treue gehalten
Der Berner aus Herzogenbuchsee ist einer der Letzten seiner Art: ein Vollblut-Radiojournalist, der seinem Lieblingsmedium immer die Treue gehalten hat: «Weshalb soll ich den Grind in die Kamera halten, wenn die Stimme besser ist?» Aufgewachsen als Sohn eines Technologen in einem behüteten Elternhaus, schloss er ein Mathematik- und Geografiestudium ab und arbeitete während zehn Jahren als Sekundarlehrer. Bereits als Gymnasiast zog es den passablen Handballer in die Medien – als lokaler Polit-Korrespondent: «Ich schrieb über Ortsplanung, Gemeindeplanung und den Skandal im Baudepartement. Lokaljournalismus ist die Essenz unseres Berufs.»
Seine wahre Berufung findet er aber als freier Mitarbeiter von Radio Beromünster zu Beginn der 90er-Jahre. Der damals 34-jährige Reporter war einer der Ersten, die zu den Gottéron-Stars Slawa Bykow und Andrej Chomutow vorstiessen, und zwar «bis in ihre Einfamilienhäuser in Marly». Die Beiträge lösten selbst in Zürich ein Echo aus, wo der damalige Sportchef Urs Leutert auf den Mitarbeiter aufmerksam wurde und ihn als Ersatz für Mäni Weber verpflichtete.
Eine seiner ersten Reportagen führt Schär 1991 an die Bob-WM in Altenberg ins Gebiet der ehemaligen DDR. Als Journalist sei man wie ein König empfangen worden: «Die Veranstalter organisierten für uns einen Ball, und als Tanzpartnerinnen wurden Frauen aus der Umgebung aufgeboten.»
Jahrelang mit Federer und Hingis um die Welt
Schär beherrscht den Dreivierteltakt auch auf diplomatischem Parkett. Als bei Radio DRS zu Beginn der 90er-Jahre die Ressorts neu verteilt werden, weiss er als Einziger, dass eine damals elfjährige Tennisjuniorin namens Martina Hingis soeben das ITF-Turnier in Langenthal gewonnen hat: «Deshalb hob ich die Hand, als sich niemand für die Tennisberichterstattung interessierte.» Schär erhält den Zuschlag – und verschafft sich so den Zugang zu einem der aufregendsten Kapitel der Schweizer Sportgeschichte. Wenn Hingis und später Roger Federer ihre Gegner(innen) an die Wand spielen, ist er meist vor Ort. Doch auf etwas legt er Wert: «Wenn ich Federer interviewe, siezen wir uns immer. Die Distanz muss gewahrt sein.»
«Wieso sollte ich den Grind in die Kamera halten, wenn die Stimme besser ist?»
Berni Schär
Schär berichtet im Tennis von 70 Grand-Slam-Turnieren und von 18 ATP-Finals sowie im Ski während 33 Weltcupsaisons und von 16 Weltmeisterschaften. Bei Olympischen Spielen ist er seit Albertville, wo er 1992 seine heutige Frau Ursula in die Kommentatorenkabine schmuggelt, 15-mal dabei. Nur zu gern hätte er den DRS-Weltrekord von Sepp Renggli (16 Olympia-Teilnahmen) egalisiert, doch die Pandemie (mit der Verschiebung der Sommerspiele 2020) hat ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Auf die Frage, welches das Highlight seiner Karriere gewesen sei, kann er sich nicht kurzfassen: «Es gab zu viele grossartige Momente.» Etwa den Abfahrts-Olympiasieg von Didier Défago 2010: «Weil der Walliser zuvor durch die interne Qualifikation musste, war dieser Erfolg besonders speziell.» Oder der Triumph des Kunstturners Donghua Li 1996 in Atlanta: Beim BTV Luzern hatte man den Chinesen zuvor nur widerwillig ins Training aufgenommen.
Frech an der Tür des Olympiasiegers geklopft
Oder die Goldmedaille des Bobfahrers Gusti Weder 1992 in Albertville – die einzige für die Schweiz damals: «Weder wollte am Nachmittag nach dem zweiten Lauf keine Interviews geben – und zog sich in sein Hotelzimmer zurück.» Schär lässt sich davon nicht abschrecken: «Ich marschierte durch die Eingangshalle, nahm den Lift und klopfte bei Weder an die Tür.» Dieser habe leicht verschlafen geöffnet – und ihm quasi während des Nickerchens das Interview gegeben: «Gusti lag auf dem Bett, ich kniete am Boden.»
Sehr gut in Erinnerung geblieben ist ihm auch die Handball-WM 1995 in Island, wo er mit profunden Ortskenntnissen punkten kann: «Ich hatte zuvor als Leiter von Island-Trekkingferien die Insel zu Fuss erforscht.»
Nun ist Schär zurück in Küngoldingen und setzt sich an den Esstisch: «Dies wird mein Rentnerstuhl. Von hier aus habe ich den perfekten Blick auf meinen geliebten Jura.» Doch lange ruhig sitzen wird der Neo-Pensionär kaum – zu viele Pläne hegt er für die kommende Zeit. Im Sommer begleitet er eine Busreise zu vier Klassikern des Ski-Weltcups (Wengen, Kitzbühel, Garmisch, Alta Badia). Ausserdem kann er als Referent gebucht werden und hat mit einem Kollegen ein Modell konzipiert, dank dem Gemeinden Sportlerehrungen «mit allem Drum und Dran» durchführen können.
Er hinterlässt eine grosse Lücke
Bernhard Schär weiss, wovon er spricht: Er sah viele kommen und gehen, jubelte am Mikrofon über Siege und trauerte über Niederlagen. So leidenschaftlich wie er war kein anderer Reporter. Und wenn er am 30. April in Pension geht, hinterlässt er eine Lücke, die niemand mit derselben Begeisterungsfähigkeit schliessen kann.