Alan Roura (31) steht in einer schwarzen Jacke im Rumpf seines Segelschiffs, auf dem Kopf trägt er eine rot-gelb-grüne Rastafari-Mütze. «Heute ist ein besonderer Tag, heute ist der 31. Dezember!», ruft der 31-jährige Skipper aus Genf in die Kamera. Neben seinem Kopf baumelt eine Mini-Discokugel von der Decke. «Hier an Bord geht die Post ab», johlt er in DJ-Manier: «Bonne année!» Im Hintergrund hört man das Rauschen des Meeres, die Szene wirkt surreal.
Schliesslich ist der Mann gerade mutterseelenallein im Südpolarmeer zwischen Australien und Südamerika unterwegs: Roura ist einer von nur 34 Männern und sechs Frauen, die am 10. November zur legendären Vendée Globe aufgebrochen sind. Auch ein weiterer Schweizer und eine Schweizerin sind dabei. Die Vendée Globe, das ist ein Solo-Segelrennen rund um die Welt, das nur alle vier Jahre stattfindet. 45'000 Kilometer müssen die Skipper von Frankreichs Atlantikküste aus zurücklegen, angetrieben allein von der Kraft des Windes.
Rund 80 Tage brauchen sie im Schnitt für die Weltumrundung, der Rekord liegt bei 74 Tagen. Erlaubt sind weder Zwischenstopps noch darf man Hilfe von aussen in Anspruch nehmen. Das Rennen gilt als die ultimative Herausforderung für jeden Segelprofi.
Warum tun sich die Teilnehmenden das an? Warum lassen sie ihre Liebsten an Land zurück, schlafen monatelang höchstens fünf Stunden pro Tag und ernähren sich von Beutelkost? Und wie feiert man unter diesen Extrembedingungen Weihnachten und Silvester?
«Meine Frau ist allein mit den Kindern, während ich auf meinem Egotrip bin»
Alan Roura
«Auf jeden Fall nicht so, wie es auf dem Video den Anschein macht», sagt Alan Roura lachend. «Ich mag keine Neujahrspartys.» Die Schweizer Illustrierte kommuniziert mit dem Genfer via Whatsapp: Die Journalistin schickt ihre Fragen schriftlich, Roura antwortet per Sprachnachricht. Manchmal kommen die Antworten postwendend, manchmal vergehen ein paar Stunden, bis es mit der Übertragung klappt – der Austausch zieht sich über mehrere Tage hin.
Ein Festmahl an Heiligabend
Roura hat schwierige Tage hinter sich: Weihnachten ohne seine Liebsten, hinzu kamen Probleme mit dem Generator. Zudem war der Nebel tagelang so dicht, dass die Welt hinter einem grauen Schleier verschwand. «Ich kann die Umgebung um mich nur erahnen», berichtet er am 27. Dezember.
Alan Roura und das Meer, das ist eine Liebesgeschichte von klein auf: Bis er acht war lebte er mit Eltern und Geschwistern auf einem Boot in Genf, danach segelte die Familie elf Jahre lang um die Welt. Mit 23 qualifizierte er sich als damals jüngster Skipper erstmals für die Vendée Globe, 2020 folgte die zweite Teilnahme.
Obwohl er bereits Übung darin hat, Weihnachten allein zu verbringen, war Roura dieses Jahr besonders schwer ums Herz: «Ich bin inzwischen zweifacher Papa, es tut mir leid, dass meine Kinder ohne mich feiern müssen.» Roura ist mit einer Pariser Journalistin verheiratet. Gemeinsam lebt das Paar mit der vierjährigen Tochter Billie und dem einjährigen Sohn Marley in der Bretagne. Zwischendurch plage ihn das schlechte Gewissen, gesteht Roura. «Meine Frau ist monatelang allein mit den Kindern, während ich auf meinem Egotrip bin!» Gleichzeitig wisse er, dass sie voll und ganz hinter ihm stehe, Rouras Frau ist auch seine Presseverantwortliche: «Die Vendée Globe ist unser gemeinsames Baby.»
Viel Zeit, seinen Gedanken nachzuhängen, hat er sowieso nicht. Es gibt ständig etwas zu tun: Segel einholen, Segel spannen, das Wetter checken, den Kurs korrigieren, auf dem Gaskocher Essen zubereiten, abwaschen. Das Leben an Bord ist simpel. Geduscht wird mit Feuchttüchlein, zu essen gibt es gefriergetrocknetes Essen, das Roura nur noch mit Wasser anrühren muss. Dutzende von Beuteln mit Geschnetzeltem, Pasta oder Sauerkraut führt er mit sich. Hinzu kommen Energieriegel, Schokolade und Früchtekompotte: rund 150 Kilogramm Essen insgesamt.
Abwechslung vom Beutelfood gab es an Heiligabend: Ein bretonisches Restaurant hatte vor der Abreise extra für Roura eine «Daube de bœuf» zubereitet, ein typisch französisches Schmorgericht mit Rindfleisch, das in einer Rotweinsauce stundenlang vor sich hin köchelt. Dank einem speziellen Verfahren blieb das Essen bis zum 24. Dezember haltbar. Dazu gönnte sich Roura ein Glas Saint-Émilion. Ein seltener Luxus.
Noch 12'800 Kilometer bis zum Ziel
Sechs Tage sind seit dem Rastafari-Post vergangen, da poppt am 5. Januar auf der Website der Vendée Globe ein weiteres Video auf. Man sieht Roura, wie er mit einem breiten Grinsen in die Kamera schaut, hinter ihm die Umrisse einer Felsküste: das Kap Hoorn an der Südspitze Chiles. «Ich war noch nie so glücklich, Land zu sehen» ruft er, «c’est trop stylé!». Der Grund für seine Freude: Das Südpolarmeer liegt hinter ihm. Die Ankunft rückt näher.
12'800 Kilometer trennen ihn zu diesem Zeitpunkt noch von seinen Liebsten. In wenigen Wochen kann er sie endlich in die Arme nehmen. In einer letzten Sprachnachricht kommt Roura nochmals auf sein Familiendilemma zu sprechen. Es sei zwar schwierig, die Seinen zurückzulassen, sagt er. Gleichzeitig sei er stolz. «Vielleicht werden meine Kinder eines Tages sagen: Mein Vater war ein Abenteurer.» Wer kann das schon von sich behaupten?