Da beginnt man nur schon beim Zuschauen zu schlottern. Das Thermometer zeigt unter drei Grad Lufttemperatur an, das Wasser ist acht Grad «warm». Das perfekte Wetter also für ein Bad in der Aare. Nicht! Trotzdem ist genau diese Abkühlung im Berner Marzili beliebt – Dutzende Tapfere machen sich bereit, in das kalte Wasser zu steigen.
Darunter auch die Beachvolley-Schwestern Anouk und Zoé Vergé-Dépré. Seit einigen Wochen spannt das Duo auch beruflich zusammen, will in der neuen Saison Vollgas geben – und in den kommenden Jahren an der Weltspitze mitmischen.
Auch die Olympischen Spiele 2028 in Los Angeles sind ein Ziel. Da kommt ein Eisbad bei den Vorbereitungen nicht ungelegen. Es regt die Durchblutung an und stärkt das Immunsystem. «Ich dusche häufig kalt», erzählt Anouk Vergé-Dépré (32) «oder hole an der Tankstelle Eiswürfel, um daraus ein Bad zu machen.» Schwester Zoé (26) ist nicht die fleissige Eisbaderin – heute will allerdings auch sie sich in die kalte Aare wagen.
Der Winter ist ohnehin nicht die Lieblingsjahreszeit der Schwestern, deren Vater aus Guadeloupe stammt – eine Karibikinsel, die zu den französischen Antillen gehört und auf der das Thermometer selten unter 20 Grad fällt. «Der Winter ist schon schön», sagt Zoé Vergé-Dépré schmunzelnd, «es würde mir aber auch reichen, wenn er nur ein paar Wochen dauerte.»
Wintersportarten wie Skifahren oder Schlittschuhlaufen sind ohnehin verboten – die Verletzungsgefahr ist zu gross. Doch die Schwestern geniessen es, in der kalten Jahreszeit häufiger zu Hause zu sein, Familie und Freunde zu treffen, zu kochen oder sich Hobbys wie dem Tanzen oder Malen zu widmen. «Das Training ist zudem nie härter als in den Wintermonaten», betont Anouk Vergé-Dépré.
Als Beachvolleyballteam müssen sich die Schwestern erst finden. «Wir testen aus, was unsere Stärken und Schwächen sind, wie wir unser Spiel aufziehen können», erzählt die sechs Jahre ältere Anouk. Sie wechselt von der linken Position auf die rechte und von der Verteidigung an den Block. «Ich muss jetzt wieder nach jedem Service füreseckle», sagt sie lachend. «Ich brauche also viel Kondition und Sprungkraft.»
«Es ist wie eine Ehe, die man sich nicht aussucht»
Kampf um den Olympiaplatz
Dass auch Schwester Zoé eine Karriere als Spitzensportlerin anstrebte, war Anouk lang nicht bewusst. «Ich dachte, sie spielt Volleyball wegen mir oder unseren Eltern, die beide professionell Indoor-Volleyball gespielt haben.» Erst mit der Zeit sei ihr klar geworden, dass es auch Zoé ernst meinte – und Potenzial hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren beide Schwestern in eigenen Teams engagiert. Anouk spielte jahrelang mit Joana Mäder (33) und Zoé war mit Esmée Böbner (25) erfolgreich.
«Die Eltern sagten, sie kennen zwei Spielerinnen ohne Partnerin»
Anouk Vergé-Dépré
Aus den Schwestern wurden im Sand Konkurrentinnen – diese sportliche Fehde fand im Frühling 2024 ihren Höhepunkt, als sich die beiden direkt um die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Paris duellierten. Mit dem besseren Ende für Zoé. «Es waren gemischte Gefühle», erinnert sie sich. «Da war schon nicht nur Freude über meine Qualifikation.» – «Jede hat für ihren eigenen Traum gekämpft», blickt Anouk zurück. «Dass ich enttäuscht war, hatte nichts mit Zoé zu tun.» Während Zoé und Esmée unter dem Eiffelturm das Turnier ihres Lebens lieferten, sensationell Fünfte wurden, hatte Anouk Zeit für sich. «Für mein Privatleben, meine persönliche Entwicklung.»
Nach Paris gab Esmée Böbner überraschend ihren Rücktritt bekannt. Auch Anouk Vergé-Dépré und Joana Mäder trennten sich nach neun gemeinsamen Jahren. Die Schwestern standen also beide gleichzeitig alleine da. Da war der nächste Schritt doch offensichtlich, oder? Beide lachen: «Unsere Eltern meinten, sie kennen zwei Spielerinnen, die keine Partnerin haben.» So klar sei es aber nicht gewesen, beide hätten sich intensiv darüber Gedanken gemacht. «Wir wollten eine Entscheidung unabhängig davon, was Freunde und Familie sagten», erklärt Anouk. Und Zoé sagt: «Jetzt, wo es passiert, merke ich, wie sehr ich es wollte.»
Beide strecken einen Zeh in die bitterkalte Aare. Lachen. Zusammen mit ihrem neuen Trainer Damian Wojtasik – er bildet mit Co-Trainer Denis Milanez ein Coaching-Duo – trauen sie sich ins Aarewasser. «Zwei Minuten», gibt Anouk vor. «Kannst du stoppen?» Am Ende werden es fast vier. Anouk und Zoé Vergé-Dépré streiten sich fast nie – eher ziehen sie sich mal gegenseitig auf. Humorvoll, wie beide betonen. Mit dieser Einstellung wollen sie nun ihren Weg als Schwestern und Teamkolleginnen beschreiten – und bald Erfolge feiern.