Mit dem rechten Arm hext Handball-Torhüter Nikola Portner (30) das Geschoss über die Latte. Die ausverkaufte Getec-Arena
in Magdeburg (De), Hauptstadt des Bundeslandes Sachsen-Anhalt, tobt begeistert. Der aufgedrehte Hallensprecher brüllt ins Mikrofon: «Nikola!», 6600 Fans skandieren im Chor: «Portner!»
Der Goalie ballt nach dem Weltklassereflex die Fäuste und schreit die Anspannung heraus. Die Fans geniessen die Handballshow ihres Lieblings. Champions-League-Sieger Magdeburg gewinnt gegen die Rhein-Neckar Löwen auch dank 13 Paraden von Portner 38:24. Der Berner mit Wurzeln in Serbien hält jeden dritten Ball, der aufs Tor abgefeuert wird.
Genau diesen Nikola Portner braucht auch das Schweizer Handball-Nationalteam als Captain und Leader in Hochform, wenn es am 10. Januar gegen Deutschland in die EM startet. 50'000 Fans werden im Düsseldorfer Fussballstadion untergeschlossenem Dach erwartet – Weltrekordkulisse für ein Handballspiel!
«Wenn ich Jugendlichen ein Vorbild sein kann, geht mir das Herz auf»
Töchterchen Teodora (3) schleckt in der Getec-Arena genüsslich eine Glace. Mutter Tamara Portner (29) geborene Aleksic, will sich nach dem Spiel durch dichte Fanreihen zu ihrem Mann vorkämpfen. No way! Nikola Portner wird umlagert.
Der 1,94 Meter grosse Athlet schreibt Autogramme, hält für Selfies her. «Wenn ich Jugendlichen ein Vorbild sein kann, geht mir das Herz auf. Und wenn ein Fan meine Trikotnummer 80 trägt, wird mir bewusst, was ich für eine Verantwortung innehabe», sagt Portner und strahlt.
Warum die Zahl 80? «Auf dem Trikot lebt Papi weiter. Er spielte mit der Acht, die Null symbolisiert, dass ein Spiel bei null anfängt», klärt Nikola Portner auf. Sein Vater und Vorbild Zlatko Portner ist vor drei Jahren im Alter von 58 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben.
Er wurde 1986 mit Jugoslawien Handball-Weltmeister, kam 1994 in die Schweiz zum BSV Bern und liess seine Karriere beim BSC Grosshöchstetten ausklingen.
Auch sein Sohn ist noch eng mit Bern verbunden. In der Magdeburger 4,5-Zimmerwohnung im Stadtteil Alte Neustadt springt ein Aquarell der Berner Skyline ins Auge. Nikola und Tamara Portner sind im Berner Quartier Wittigkofen, respektive in Gümligen aufgewachsen. Mit Mutter Radmila, 59, in Zollikofen BE steht Nikola Portner täglich in Kontakt: «Wir telefonieren mit Facetime. Meine Spiele verfolgt sie beim Streamingdienst Dyn live.»
«Meine Familie ist das Wichtigste»
Teodora spielt am Stubentisch mit Playmobil-Figuren. «Meine Familie ist das Wichtigste für mich!», sagt Nikola Portner. Und ergänzt: «Egal, wie ich gespielt habe, zu Hause bringen mich Teodora und Tamara schnell auf andere Gedanken. Sie sorgen dafür, dass ich den Fokus auf sie richte.» Deshalb hängen in der Wohnung weder Trikots noch Medaillen an der Wand.
«Auch Papi hat nie gross Aufhebens um seine Erfolge gemacht. Er war ein bescheidener Mann. Wir pflegten eine Vater-Sohn-Beziehung und keine Trainer-Sohn-Beziehung.» Diese Werte möchte er seiner Familie weitergeben.
«Es war so romantisch»
Tamara Portner blättert im Fotoalbum. Seit dem 7. Juli 2018 ist sie mit Nikola verheiratet. Den Antrag macht er ihr 2017 an der Mittelmeerküste Südfrankreichs. Vor Magdeburg spielt Portner bis 2022 sechs Jahre lang als Profi in Frankreich, Montpellier und Chambéry. «Nikola spazierte mit mir auf den Gipfel des Mont Saint-Clair – ein Aussichtspunkt oberhalb der Stadt Sète. Auf einmal zog er zwei Ringe aus seiner Lederjacke. Es war so romantisch. Ich habe natürlich Ja gesagt.»
Zusammengeführt hat die beiden Zlatko Portner. «Als mein Schwiegervater Trainer des NLB-Teams von Handball Grauholz war, spielte ich im gleichen Klub bei den Frauen als Kreisläuferin. Vor den Heimspielen der Männer bediente ich am Kiosk jeweils die Gäste. Eines Tages hat mir Zlatko dann seinen Sohn vorgestellt», sagt Tamara.
Im Geräteraum Handball entdeckt
Nikola Portner erzählt gerade davon, wie er als Dreijähriger zum Handball gefunden hat, als Teodora mit einer Kamera fröhlich angesprungen kommt und kräftig auf den Auslöser drückt. «Viens ici!», sagt Portner. Teodoras Eltern sprechen mit ihr Französisch und Serbisch.
Der zweimalige Champions-League-Sieger nimmt seine Tochter auf den Arm, gibt ihr einen Kuss und fährt fort: «Papi nahm mich jeweils mit ins Training. Vom Geräteraum aus verfolgte ich die Übungseinheiten. Ich versuchte, die Täuschungen nachzuahmen und schoss dann mit einem kleinen Ball auf ein Unihockeytor.» Torhüter wurde er, weil er wissen wollte, wie es sich anfühlt, die Schüsse eines ehemaligen Weltmeisters zu parieren.
Tamara Portners Handy klingelt. «Kein Notfall!», sagt die Fachfrau Operationstechnik erleichtert, die an diesem Tag Pikettdienst hat. «Lucas Meister hat angerufen. Er fragt, ob du mit ihm mittagessen gehst.»
Kurz darauf holt Meister Nikola mit Hund Joris ab, einer Kreuzung aus Deutschem Schäferhund und Rhodesian Ridgeback. Der 27-jährige Basler ist Kreisläufer in der Schweizer Nati und Portners Teamkollege bei Magdeburg. Im Sommer 2024 kehrt er zu den Kadetten Schaffhausen zurück. «Das bedauere ich sehr. Lucas ist wie ein Bruder, immer für mich da», schwärmt Portner. Dann klingelt sein Handy. «Tamara hat doch noch einen Notfall. Ich muss nach Hause.»
Ob Nikola Portner in Hochform nächste Woche an der EM für die Deutschen auch zum Notfall wird?