Ein einziges Mal vergoss seine Mutter seinetwegen bittere Tränen. Vor über 20 Jahren war das, doch bis heute schaudert es den Ostschweizer Kiko, 36, jedes Mal aufs Neue, wenn er daran denkt. Frank Cabrera Hernandez, so sein bürgerlicher Name, ist damals noch ein Teenager. «Ich war 14 oder 15 und lief am Bahnhof St. Gallen an meiner Mutter vorbei, ohne sie zu grüssen», erinnert er sich. Seine beiden älteren Brüder berichten ihm abends, als er nach Hause kommt, dass die Mutter schluchzend heimgekommen sei: Der Jüngste habe sie total ignoriert und so getan, als wäre sie Luft. «Ich schwöre bis heute bei meiner Gesundheit, dass ich sie nicht gesehen habe», versichert Kiko. Dass er tunnelblickmässig durch die Stadt geht, das ist ihm seither nie mehr passiert. Und seine Mama Luz Maria, 67, kann heute über diese Episode lachen.
Für die Schweizer Illustrierte haben sich Mutter und Sohn im Azado in St. Gallen verabredet. Der Laden gehört Andreas Nöckl, einem von Kikos engsten Freunden aus Jugendjahren. «Meine Freunde und auch die meiner Geschwister gingen bei uns zu Hause ein und aus, sie durften bei uns übernachten und bei uns essen – meine Mutter kochte für alle mit», erzählt Kiko. Sie sei immer grosszügig gewesen, obwohl sie als Alleinerziehende drei Buben und eine Tochter zu versorgen hatte und mit knapp 2500 Franken im Monat über die Runden kommen musste. Zwar habe es bei ihnen daheim an Weihnachten oder Geburtstagen keine Geschenke gegeben, «weil sich unsere Mutter das schlicht nicht leisten konnte», dafür habe sie jeweils reichlich gekocht und zur Feier des Tages eine Cola auf den Tisch gestellt.
Geschämt hat sich Kiko nie für seine Mutter. Bis heute sprechen er und seine Geschwister die Mutter auf Spanisch mit «Usted», also «Sie», an. Stellen Luz Maria mit «Ción Mami» («Das ist Mami») vor und erbitten für sie den Segen («Ben dición Mami»). Dass ihre Mutter sehr streng war, habe ihn als Kind vielleicht manchmal genervt, doch versteht Kiko heute, dass sie übervorsichtig war, «weil alle Blicke auf uns gerichtet waren. Wir waren die einzigen Schwarzen im Dorf.»
Kiko ist ein fünfjähriger Knirps, als er 1991 aus der Dominikanischen Republik mit seiner Mutter, zwei Brüdern und einer Schwester in die Schweiz kommt und im Thurgauer 1000-Einwohner-Ort Hefenhofen landet. Der Stiefvater hatte die Familie eben verlassen. Als im Dorf einmal ein paar Blumentöpfe kaputtgegangen waren, sei die Polizei sofort vor ihrer Tür gestanden.
Es ist nicht das einzige Erlebnis dieser Art für Kiko und seine Familie. «Meine Mutter war wie traumatisiert, sie hat alles richtig machen und im Ort mit ihren Kindern ein gutes Bild abgeben wollen.» Die Angst, etwas falsch zu machen und als schlechte Mutter dazustehen, brannte sich bei Luz Maria ein. «Bis heute sagt sie, wenn ich ein Loch in einer Socke habe, dass ich die sofort wechseln soll. Hätte ich einen Unfall und würde mit löchriger Socke im Spital landen, könnte dies ein schlechtes Licht auf sie werfen», erzählt Kiko amüsiert. Seine Mutter guckt ihn von der Seite an – nicht ganz so amüsiert. Als Kiko es bemerkt, drückt er sie an sich: «Mami, du musst auch loslassen können!»
Fragt man Kikos Mutter, ob sie heute, da ihre Kinder erwachsen sind und sie bereits Enkelkinder hat, im Rückblick etwas anders machen würde, überlegt sie nur kurz. «Ich wäre wohl nicht in die Schweiz gekommen.» Und dann sagt sie auf Spanisch einen Satz, den Kiko so übersetzt: «Aber das Schicksal hat es anders gewollt.» Luz Marias Augen leuchten dabei, sie schaut glücklich auf ihren Jüngsten. Kiko sagt: «Ich hätte nie richtigen Seich anstellen können.» Schulgspänli liessen in der Migros schon mal etwas mitlaufen, er nie. Nicht weil er Angst gehabt hatte, dabei erwischt zu werden. Sondern seiner Mutter wegen.
«Sie zu enttäuschen, hätte ich nicht übers Herz gebracht.» Er habe schliesslich Tag für Tag erlebt, wie sie sich tagsüber während der Arbeit für ihre Kinder abgekämpft, sich abends an den Herd gestellt und für alle gekocht und die Mahlzeiten für den nächsten Tag vorbereitet hat. Kiko schloss seiner Mutter zuliebe auch die Wirtschaftsmittelschule ab. «Das bedeutete ihr viel; mein Diplom bewahrt sie bis heute auf.» Seine Wertschätzung für all das, was ihm seine Mutter mit auf den Weg gegeben hat, zeigt der Comedian nicht nur am Muttertag.
Der wird in der Dominikanischen Republik jeweils am letzten Mai-Sonntag gefeiert. «Dann gibts Geschenke für alle Mütter, nicht nur von den eigenen Kindern, sondern auch von Nichten und Neffen», erzählt Mama Luz Maria begeistert. Früher neckte sie vor allem ihre drei Buben, wenn sie daheim mindestens einmal wöchentlich frische Blumen in eine Vase stellte. Sie sagte: «Wenn ihr mir schon keine schenkt, kaufe ich mir halt selbst welche.» Vor ein paar Tagen erst brachte Kiko seiner Mutter einen Strauss vorbei. «Damit bereite ich ihr garantiert immer Freude.» Kürzlich schenkte er ihr auch einen Goldring. «Früher trug Mama oft Schmuck, aber als es uns finanziell nicht so rosig ging, versetzte sie nach und nach alles, um Essen kaufen und Rechnungen bezahlen zu können.» Stolz zeigt Luz Maria den Ring, den sie von ihrem Kiko bekommen hat. Der strahlt bis über beide Ohren, bringt nur ein «Ción Mami» heraus.