Für den Ausblick aufs Meer und die felsige Küste hat Corinne Suter keine Augen. Sie treibt ihr Rennvelo mit maximalem Einsatz einen zwölf Prozent steilen Anstieg hinauf, den Blick konzentriert auf die Strasse gerichtet. Jeweils 90 Sekunden volle Pulle, dann ein paar Minuten ausruhen lautet das Intervall-Programm.
Eben erst ist die 24-Jährige aus Thailand zurückgekehrt. Es war das erste Mal, dass sich Corinne Suter zwei Wochen Ferien am Stück gönnte – und das mit Freund Angelo, mit dem sie seit einem halben Jahr zusammen ist. «Ich habe mich falsch eingeschätzt», sagt sie schmunzelnd.
«Früher konnte ich stundenlang am Strand liegen, mittlerweile muss immer wieder mal was laufen.» So hat Suter dort ihre ersten Tauchversuche absolviert, wobei diese selbst für eine Adrenalin-Liebhaberin wie sie etwas zu viel Action waren: Die Schwyzerin wurde von Fischen angegriffen, als sie unbewusst über deren Nest schwamm. Sogar die Tauchlehrerin erschrak. Suter geriet so in Panik, dass sie viel zu schnell an die Wasseroberfläche zurückkehrte. Zum Glück war sie noch nicht so tief unten. Ohrenschmerzen hatte sie trotzdem.
Die Auszeit am Strand war nötig. Die Saison mit den zwei überraschenden Medaillen im Super-G und in der Abfahrt sowie die folgenden Podestplätze im Weltcup stellten Suters Leben ab Februar auf den Kopf. «Erst nach dem letzten Rennen wurde mir bewusst, was alles passiert ist in diesem Winter», sagt sie immer noch ein wenig staunend. Viele hätten sie darauf hingewiesen, dass die Saison nach der WM noch nicht zu Ende sei.
Suter blieb konzentriert und verarbeitete ihren grossen Erfolg erst später. «Ein Trainer sagte mir sogar, dass er mir nicht zugetraut hätte, nach der ersten Medaille gleich so stark weiterzufahren. Weil ich mich doch immer so unter Druck setze.» Corinne Suter empfindet es aber umgekehrt: Für sie wirken die Spitzenresultate wie eine Erlösung. Danach konnte sie völlig locker weiterfahren.
Der Rummel danach ist überwältigend. Suter hat die Menschen nicht nur mit ihren Erfolgen für sich eingenommen: Die Tränen nach den Rennen, ihre bescheidenen, ehrlichen Auftritte und ihr ansteckendes Lachen machen sie im Nu zum Liebling.
Plötzlich klingeln Schulklassen an ihrer Haustür, wird sie von Hunderten Fans in Schwyz empfangen, bekommt Liebesbriefe. «Es hat mich erstaunt, wie viele Leute tatsächlich Skirennen schauen und mich erkennen, obwohl ich fast immer einen Helm trage.» Wenn Suter hört, dass andere über sie sprechen, aber nichts zu sagen trauen, geht sie auch mal hin und sagt: «Ja, das bin ich!», erzählt sie beim Glace in den engen Altstadtgassen von Alcúdia und lacht.
Besonders gefreut hat sie die Gratulation von Springreit-Olympiasieger Steve Guerdat. Suter ist eine riesige Pferdenärrin und durfte bei einem Besuch in Guerdats Stall vor ein paar Jahren dessen pensioniertes Star-Pferd Nino de Buissonnets reiten – sie war im siebten Himmel. «Dass sogar er mitbekommen hat, was in Åre geschehen ist!», sagt die Schwyzerin noch heute verblüfft.
Nun arbeitet Suter längst wieder für die Erfolge der kommenden Saison. Die Woche auf Mallorca ist ideal für die Motivation zum Start einer langen Zeit ohne Wettkämpfe: morgens Yoga am Strand, Rad fahren in der Sonne, in den Pausen aufs Meer hinausblicken. Oft wird Suter gefragt, was sie im Sommer mache.
Die Tränen an der WM hatten auch damit zu tun, mit Erleichterung – «von aussen sieht man halt nur die zwei Minuten auf der Piste, nicht, was alles dahintersteckt». Läuft es nicht so gut, brauchts ein Umfeld, das an einen glaubt. Zu oft liess sich die Speedspezialistin davon verunsichern, passte im Rennen nicht alles zusammen. Dass sie mittlerweile gelernt hat, auch aus schwierigen Phasen Positives mitzunehmen, gibt Pfupf für die Zukunft. Denn: «Da ist noch sehr viel Luft nach oben.»