«Welches ist der beste Dürüm-Laden hier?», fragt Tatjana Nosha, 28, als sie mit ihrer Schwester Daniela Ryf, 35, durch Solothurn schlendert. «Ich kann dir sagen, wo es die beste Pizza gibt», sagt Daniela und lacht. Heute verlangt die Mittagshitze nach doppelter Abkühlung: Zuerst gibts ein Glace, danach ein Fussbad in der Aare.
Ebenfalls dabei ist Danielas Bruder Joel Teuscher, 24. Es sind nach Monaten auf Achse rare Momente für die frischgebackene fünffache Ironman-Weltmeisterin. «Aber solche, die mir Energie geben», sagt Daniela Ryf. «Meiner Familie ist es egal, ob ich erfolgreich bin. Hauptsache, ich bin glücklich. Meine Geschwister geben mir zudem eine andere Perspektive aufs Leben.»
Mit Bruder Joel, ihrer Mutter und ihrem Stiefvater verbrachte Daniela viele Jahre ihrer Kindheit und Jugend. Mit Schwester Tatjana, welche mit Daniela den Vater teilt und in Biel aufwuchs, wohnt sie seit eineinhalb Jahren in Feldbrunnen SO. Wer könnte also besser beurteilen, wie Ryf neben der Rennstrecke tickt, als die beiden?
«Daniela ist lockerer, als viele denken. Und sie hat immer ein offenes Ohr für mich», sagt Joel, der demnächst sein BWL-Studium abschliesst. Ihre Bekanntheit ist für ihn Nebensache. Bis auf einmal, als er damit punkten konnte: «Beim Bewerbungsgespräch als Tickerer beim SRF kam die Frage, wie die vierfache Ironman-Weltmeisterin heisst», erzählt er und lacht. Ryf schätzt ihren Bruder als ruhigen Pol, den nichts erschüttern kann. «Und als Teamplayer, der gut mit Menschen umgeht.»
Schwester Tatjana steht ebenfalls kurz vor dem Abschluss – als Umweltingenieurin. Sie sagt über das Zusammenleben mit der grossen Schwester: «Die Anspannung merkt man ihr nicht an. Ich frage auch nie, wie das Training lief. Ich weiss aber: Sie muss danach möglichst schnell essen. Da ich sehr gern koche, trifft sich das bestens.»
Die beiden verbindet auch ein trauriges Kapitel: Vor zwei Jahren erleierleidet ihr Vater durch einen Sturz eine Hirnblutung und danach eine bakterielle Infektion. Seither ist er pflegebedürftig und lebt in Isolation. Selbst die Familie darf ihn nur in Schutzanzügen besuchen.
«Sein letzter Wunsch ist, dass seine Kinder aufeinander aufpassen und sich weiterhin gut verstehen», erzählt Ryf und hält kurz inne. «Dass wir das Gleiche durchmachen, hat uns noch mehr zusammengeschweisst.» Die positive Art ihrer Schwester kommt jetzt gerade richtig. «Tatjana ist selbstbewusst und optimistisch. Ich grüble da mehr.» Dafür sei sie es, die ihre Geschwister manchmal motiviere, «wenn sie einen Tritt in den Hintern brauchen».
Ehrgeiz, Disziplin und Tatendrang zeichneten Ryf stets aus: «Ihr Trainingsraum war früher neben meinem Zimmer. Da war oft schon frühmorgens etwas los», erzählt Joel, der früher Eishockey spielte. «Zudem überredete Daniela mich oft, sie beim Lauftraining mit dem Velo zu begleiten.» – «Dich auch?», fragt Tatjana, die einst Schwimmerin war. «Mich strengte das jeweils mehr an als sie!» Ryfs Erfolge sind für ihre Geschwister also eher logische Konsequenz als Überraschung. «Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand härter arbeitet als sie», sagt der Bruder.
Dennoch ist die Situation nun vor der WM so ungewiss wie lange nicht. Ryfs letzter Ironman-WM-Titel liegt dreieinhalb Jahre zurück. 2019 wird
sie von einem Magen-Darm-Infekt geschwächt. Dann kommen Pandemie, Rennabsagen, Motivationsprobleme. Eine Neuorientierung mit dem Abschluss ihres Studiums in Lebensmitteltechnologie und der Trennung von Langzeit-Coach Brett Sutton folgt.
Zudem hat die Triathletin im vergangenen Jahr starke gesundheitliche Probleme. Schulter- und Fussverletzungen werfen sie zurück, länger beschäftigen sie Schwierigkeiten mit dem Immunsystem: Ein Arzt diagnostiziert Long Covid, ein Magenpilz und eine Gürtelrose setzen sie weiter ausser Gefecht. Im Herbst ist eine mehrwöchige Pause, «ein Reset», nötig. Dass sie an der WM – pandemiebedingt im Frühling statt Herbst und in St. George, Utah, statt in Kona, Hawaii – wieder zu alter Stärke findet, ist für Ryf eine Befreiung. «Es ist ein super Gefühl, den Körper wieder unter Kontrolle zu haben und pushen zu können.»
Diesen Schwung will sie nutzen. Im Oktober steht die nächste WM an, diesmal auf Hawaii. Darum gibts nur eine kurze Auszeit. So sehr Ryf die sozialen Kontakte und die Gespräche fern des Triathlons geniesst, weiss sie: «Um meine Bestleistung zu zeigen, muss ich dem Sport vier Monate vorher alles unterordnen. Dazu gehört auch eine gewisse soziale Abkapselung.» Sie sagt es mit der Gewissheit: Das Verständnis und die Unterstützung ihrer Geschwister sind ihr in jeder Situation sicher.