«Wie komme ich am schnellsten zur Eisfläche?», fragt Denise Biellmann (61) noch bevor sie ihre Garderobe im Backstagebereich des Berliner Tempodroms erreicht hat. «Eins nach dem anderen», bremst sie ihr Partner Colin Dawson (62). Er ist beladen mit zwei Koffern und einem Kleidersack mit den Kostümen seiner Liebsten. Nur ein kurzer Blick in ihr Reich, das mit «Stargast» angeschrieben ist, und schon lässt sie sich den Weg zum Feld zeigen. Ihre Augen glänzen. «Es fühlt sich an, als wäre ich nach einer langen Reise wieder daheim angekommen», sagt Biellmann.
Ihre Verbundenheit zu «Holiday on Ice» kommt nicht von ungefähr. Nachdem die Zürcherin 1981 die Europa- und die Weltmeisterschaft gewonnen hat, unterschreibt sie einen Exklusivvertrag und tourt zwischen 1981 und 2011 regelmässig als Aushängeschild der Show um die Welt. Nun, im Rahmen des 80-Jahre-Jubiläums, feiert Denise Biellmann in zwei Aufführungen ihr temporäres Comeback. «Zwei Monate habe ich intensiv für diese Auftritte geprobt. Ich freue mich auf die Reaktion des Publikums.»
Ohne Limit durchs Leben
Zuvor stehen noch eine Einzel- und eine Gruppenprobe mit dem 38-köpfigen Ensemble an. Kaum haben ihre messerscharfen Kufen das Eis berührt, wird es still in der Halle. In sich gekehrt und hoch konzentriert dreht Biellmann Runde um Runde. Ein Sprung hier, eine Pirouette da. Nur ein feines Zischen unter ihren Schlittschuhen ist zu hören. «Mein Gott, diese Perfektion ist unglaublich. Ich wünsche mir, dass ich mit über 60 auch noch so fit bin», flüstert Show-Eislaufkollege Benjamin Guthrie (31) einem Kollegen zu.
Solche Komplimente schmeicheln ihr – und doch hält sie nicht viel davon. «Das ist bloss eine Zahl», winkt sie ab. «Ich habe einst gesagt, dass ich mit 60 nicht mehr auf dem Eis stehen möchte – und siehe da, ich mache es immer noch. Solange ich kann und Lust dazu habe, werde ich es tun. Ich setze mir heute keine Grenzen mehr.» Das Eiskunstlaufen sei nicht nur Beruf, sondern ihr Lebenselixier. «Auf dem Eis fühle ich mich wie 20. Alles eine Frage der Einstellung!»
Denise Biellmann weiss aber längst: «Von nichts kommt nichts.» Die in Volketswil ZH wohnhafte Sportlerin steht noch immer täglich auf dem Eis und nennt die Dolder-Kunsteisbahn in Zürich deswegen ihr «zweites Daheim». Hinzu kommen Lektionen, die sie Nachwuchstalenten gibt, Konditions- und Krafttraining. «Meine Fitness unterscheidet sich nicht von jener jüngerer Athletinnen», sagt sie überzeugt. Und als müsste sie dies unter Beweis stellen, setzt sie zur legendären Pirouette an, die ihren Namen trägt. Elegant streckt sie ihren rechten Arm nach hinten, fasst die Kufe ihres freien Fusses und dehnt das Bein in die Höhe. «Früher habe ich das mit beiden Armen gemacht. Doch inzwischen gehts nur noch mit einem, weil ich mir wegen der Zugkräfte die eine Schulter mal ausgerenkt habe.»
Läuten schon die Hochzeitsglocken?
Am Tag vor dem Auftritt gönnt sich die einstige Spitzensportlerin mit ihrem Lebenspartner noch einen Stadtbummel. Wie verliebte Teenager schlendern die beiden über den Alexanderplatz und kuscheln vor dem Brandenburger Tor. «Seitdem mein 93-jähriges Mami, das früher meine Trainerin war, nicht mehr reisen mag, begleitet mich Colin. Er ist mein Ruhepol, gibt mir Sicherheit und Kraft», schwärmt Biellmann.
Vor über 40 Jahren lernen sich die beiden bei «Holiday on Ice» kennen und lieben. Der gebürtige Engländer ist damals ebenfalls Teil der weltweit grössten Eisrevue. 1984 heiraten sie schliesslich. Im verflixten siebten Jahr ist alles aus, es folgt die Scheidung. Doch rasch kommt erneut Sehnsucht auf, und sie finden wieder zusammen.
Heute sei ihre Liebe stärker denn je zuvor. «Ein Geheimnis haben wir nicht, es ist wohl unsere tiefe Verbundenheit», sagt Biellmann. Und diese soll noch «symbolisch» vertieft werden. «Wir wollen wieder heiraten, das steht für uns fest. Den Gedanken daran, im hohen Alter auf diese Art gebunden zu sein, finden wir schön. Ein bestimmtes Datum steht aber noch nicht fest.» «Mit 80 könnten wir es tun», flachst Colin Dawson. «Jesses, nein», entgegnet Biellmann lachend. «So lange will ich nicht warten müssen.» Einig sind sich die beiden, dass es beim zweiten Anlauf eine intime Zeremonie und Feier nur mit den engsten Vertrauten sein soll.
Mehr Geduld beweist die Kufenkönigin in der Maske am Showtag. Während eineinhalb Stunden wird sie geschminkt, bekommt Wimpern aufgeklebt und die Haare gemacht. «Im Alltag bin ich meistens in Leggings und ungeschminkt unterwegs. Umso mehr geniesse ich es, wenn ich auf diese Art verwöhnt werde. In dieser Zeit kann ich in mich kehren und mich auf den bevorstehenden Auftritt vorbereiten.»
Nur das glatte Eis im Kopf
In ihrer Garderobe angekommen, legt Denise Biellmann direkt mit Einwärmübungen los. Problemlos dehnt sie ihre gesamte Muskulatur. Ihr Gesicht strahlt Entschlossenheit aus. Sie ist bereit, die Herausforderungen des Tages anzunehmen. Und dann ist es so weit: Michael Bublés Hit «Feeling Good» setzt ein, die Scheinwerfer rücken die Ikone in den Fokus. Mit ihrer vierminütigen Performance nimmt sie das Publikum in eine Welt jenseits der Realität mit. Ihre Anmut und Grazie, drei Outfitwechsel und eine unglaubliche Darbietung – das Publikum staunt und jubelt begeistert. Unter Standing Ovations und tosendem Applaus gleitet Biellmann rückwärts laufend von der glatten Fläche. «Ich bin erleichtert, dass alles geklappt hat. Wenn ich meine Schlittschuhe trage, bin ich vollkommen. Schade, dass es schon vorbei ist», sagt sie nach ihrem Auftritt.
Vorbei? Kaum vom Eis, denkt sie bereits wieder ans Schlittschuhlaufen. «Wenn ich nach Hause komme, kann ich mich wieder um meine Schülerinnen kümmern.» Keine Frage: Auch mit 61 bedeutet für Denise Biellmann das Eis die Welt – ein Ende ist nicht in Sicht.