Dominic Lokinyomo Lobalu, 24, macht seinem Namen alle Ehre: Im Lateinischen bedeutet er «zum Herrn gehörend». Früher erhielten Jungs, die an einem Sonntag geboren wurden, gern diesen Namen. So ist es auch bei Langstreckenläufer Dominic Lobalu, der am 16. August 1998 (einem Sonntag!) in einem Dorf im Südsudan zur Welt kam. Bis heute ist dem Athleten der Sonntag heilig. «Da laufe ich nicht, sondern gehe in die Kirche», sagt er mit einem breiten Lachen. Das machte er auch seinem Trainer Markus Hagmann, 47, gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit klar. «Es ist Dominic wirklich sehr wichtig», bestätigt Hagmann, ehemaliger mehrfacher Schweizer Meister über 3000 Meter Steeple und heute Trainer von mehr als zwei Dutzend Lauftalenten beim LC Brühl.
Vor einer Woche überrascht Lobalu am Diamond League Meeting in Brüssel über 5000 Meter. Mit 12:52,15 Minuten verbessert er seine bisherige Bestmarke um nicht weniger als 40 Sekunden und kommt als Vierter ins Ziel. «Er ist schneller, als der sechsfache Weltmeister und vierfache Olympiasieger Mo Farah je gelaufen ist», freut sich sein Trainer Markus Hagmann. Seit August 2019 coacht er Dominic. Damals erhielt er eines Morgens den Anruf eines Betreuers vom Integrationszentrum Seeben in Ennetbühl SG. «Ich habe hier einen, der sagt, dass er ‹secklä› will. Können Sie mal zu uns kommen?» Das ehemalige Asylzentrum liegt abseits, mit dem ÖV benötigt man fast zwei Stunden dorthin. «Jetzt geht es grad nicht», bescheinigt Hagmann dem Anrufer knapp. Kurz darauf ein zweiter Anruf: «Der junge Mann will wirklich laufen, er wird ungeduldig.» Hagmann empfiehlt, Dominic bei ihm vorbeizuschicken. Lobalu macht sich mit Bus und Zug auf den Weg nach St. Gallen Neudorf, wo der LC Brühl trainiert, sucht zunächst vergeblich die Laufbahn; erst als ihm ein Busfahrer den Weg zum versteckten Gelände weist, steht er endlich vor Markus Hagmann. Und der ist, als er Dominic Lobalu laufen sieht, sofort angetan. «Diese Leichtigkeit und Eleganz – mir wurde klar, dass ich ein Riesentalent vor mir habe.»
Schon seit Teenager-Tagen will Dominic Lokinyomo Lobalu nur eines: laufen. Zwar spielt er zeitweise Fussball, aber nur, um zur Schule gehen zu können, weil er sich sonst das Schulgeld nicht leisten kann. Vom Schulleiter bekommt er, als er seinen Wunsch vorträgt, lieber laufen zu wollen, statt Fussball zu spielen, lapidar zu hören: «Du siehst nicht aus wie ein Läufer.» Das war in Kenia, wohin er als neunjähriger Bub zusammen mit seiner Schwester vor dem Bürgerkrieg geflüchtet war. Seine Eltern sind tot, ebenso die Grosseltern – seine Schwester starb jüngst im Flüchtlingslager Kakuma. Über seine Familie zu sprechen, fällt Dominic schwer. Am Tag, als er die Todesnachricht seiner Schwester erhält, läuft er schweigend neben seinem Trainer. Erst als Hagmann nachfragt, wo denn sein sonst stets präsentes Lächeln geblieben sei, schüttet er sein Herz aus. Markus ist für Dominic längt mehr als nur sein Trainer. «Er ist mein Freund, ich vertraue ihm.» Lange Zeit wurde Lobalu auch ausgenutzt.
In die Schweiz abgesetzt hatte sich Lobalu nach einem Wettkampf in Genf im Mai 2019. Seit Kurzem besitzt er eine Kurzaufenthaltsbewilligung, die es ihm ermöglicht, problemlos an Wettkämpfe im Ausland zu reisen. Dominic lebt in Abtwil SG in einer WG, die er sich mit zwei weiteren Mitbewohnern teilt. Dank Sponsoren sowie Start und Preisgeldern kommt er selbst für seinen Lebensunterhalt auf, hat zudem noch einen Job in einem Sportgeschäft in Aussicht, wo er ab Oktober an zwei Nachmittagen pro Woche arbeiten könnte. «Da spielt weniger der Lohn eine Rolle, sondern die Möglichkeit, dass er seine Sprachkenntnisse verbessert», betont sein Freund und Trainer.
Seinem Schützling aus dem Südsudan verheisst Hagmann eine goldene Zukunft. «Dominic wird weiter Fortschritte machen, es wird auch den einen oder anderen Rückschlag geben, aber er kann sich an der Weltspitze etablieren, und wir träumen von einem Weltrekord über 3000 Meter.» Neben einem guten Trainingsplan müsste er für Dominic eigentlich auch noch einen Ernährungsplan aufstellen. Grinsend winkt Hagmann da ab und erzählt, wie gross die Augen seiner beiden sieben und neunjährigen Kinder werden, wenn Dominic bei ihnen zu Hause seinen Schwarztee zubereitet. «Er nimmt einen ganz kleinen Schuss Milch, dafür rührt er löffelweise Zucker dazu. Und ich sage meinen Kindern immer, wie ungesund Zucker ist. Aber solange Dominic schnell läuft, werde ich meine Zunge hüten und lasse ihn gewähren.»