Im Winter 2014 /15 hatte ich meine beste Saison überhaupt. Die Probleme gingen im folgenden Sommer los. Im September konnte ich nicht mehr richtig schlafen, hatte keinen Appetit mehr. Zwei Wochen danach bekam ich Mühe im Training. Wir gingen dann noch mit der Familie und dem Privattrainer nach Kroatien ins Trainingslager. Da haben wir über meine Schwierigkeiten geredet. Ich sollte mal zwei Wochen pausieren. Daraus wurde ein Monat.
Ich brauchte am Morgen eine Stunde, um überhaupt aus dem Bett zu kommen. Null Energie. Nach zwei Wochen schaffte ich gerade mal eine halbe Stunde Training alle zwei Tage. Ich bestritt dann auch einzelne Wettkämpfe, aber hatte keine Chance, mein Niveau zu erreichen. Nun kam auch der Kopf ins Spiel, denn zuvor hatte ich nicht gedacht, dass das Problem so ernst ist. Ich glaubte, ich schaffe das. Doch es wurde nicht besser, und im Januar 2016 entschloss ich mich erneut, zwei Wochen Pause zu machen.
Es war eine sehr schwierige, traurige Zeit, in der ich jedes Selbstwertgefühl verlor. Ich blieb zu Hause bei meinen Eltern im Engadin, kam kaum aus dem Bett, weinte viel. So entschloss ich mich, die Saison abzubrechen. Auf Absprache mit dem Teamarzt flog ich in die Ferien nach Mexiko, ganz allein, obwohl das einige nicht so klug fanden. Aber ich wollte alleine, ohne fremde Hilfe da rausfinden.
«Es war ein Reset, ein kompletter Neustart»
An der Wärme reiste ich zuerst noch etwas umher, unternahm Dinge, dann lag ich zwei Wochen lang abwechselnd nur noch im Bett und am Strand. Ich genoss plötzlich das Essen wieder, nahm zu, sah wieder gesund aus. Es war eine wunderbare Erfahrung, nach der schlimmsten Zeit meines Lebens war es die glücklichste. Es war ein Reset, ein kompletter Neustart. Ich musste nie an Biathlon denken, konnte machen, was immer ich wollte und wann immer ich wollte, durfte mich einzig und allein um mein Wohlbefinden kümmern.
Als ich zurückkam, fühlte ich mich wie neugeboren. Ich hatte wieder Appetit und die Energie kam zurück. Ich zog mit meinem Freund, der auch unser Privattrainer war, in Lenzerheide zusammen. Auch mit seiner Unterstützung konnte ich die Erkenntnisse annehmen, die mein Leben als Profisportlerin betreffen. Ich war bereit für einen Neuanfang. Heute bin ich mir bewusst, dass die Wurzel des Übels weiter zurück liegt.
«Ich wünschte, man hätte da eingegriffen»
Ich bin von Natur aus schlank, aber als Nachwuchsathletin ass ich viel zu wenig, wollte noch leichter sein, so dass meinem Körper irgendwann einfach der Treibstoff ausging. Niemand hatte mich gewarnt, dass das in eine Negativspirale führen kann. Ich wünschte, man hätte da eingegriffen.
Im Hinblick auf Olympia in Sotschi 2014 wurde es bei mir noch schlimmer mit der Mangelernährung. Dass ich dort unter diesen Voraussetzungen sogar erfolgreich war und ein Diplom holte, ist umso erstaunlicher. Aber es war auch verhängnisvoll, weil ich dadurch glaubte, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Dazu kam, dass ich ein Morton Neurom hatte, eine Nervenerkrankung im Vorderfuss, die falsche Schmerzsignale aussendet. Deshalb konnte ich nach Sotschi nicht klassisch laufen oder joggen, was zur Regeneration nötig gewesen wäre.
«Heute kann ich wieder ausgelassen lachen»
Jetzt habe ich die Probleme hinter mir. Ich bin fitter und leistungsfähiger denn je, bin aber auch die seriösere, professionellere Athletin als zuvor. Hätte ich als Jugendliche gewusst, was ich heute weiss, würde ich mich in jedem Bereich möglichst professionell betreuen lassen, auch bei der Ernährung. Heute kann ich wieder ausgelassen lachen.
Ich bin sehr dankbar, dass die Grenzwache als meine Arbeitgeberin und die Sponsoren mich auch unterstützt haben, als ich weit unten war. Das ist nicht selbstverständlich. Im Spitzensport kümmert man sich vorab um die, die erfolgreich sind. Die ganze Geschichte ist nun definitiv abgeschlossen, seit ich in der Öffentlichkeit darüber reden konnte.
Lesen Sie hier die weiteren Teile der Serie «Burnout bei Spitzensportlern»: