Seit er Klubpräsident des FC St. Gallen ist, hat Matthias Hüppi (64) mit seiner ansteckenden Art die Fussballeuphorie in der Ostschweiz neu entfacht. Nach dem mit 1:4 verlorenen Cupfinal gegen Lugano ist er in Bern mit der Kehrseite der Begeisterung konfrontiert worden. Einigen gewaltbereiten Hitzköpfen aus den eigenen Reihen stellte er sich auf dem Platz mutig – und erfolgreich – entgegen. Im heimischen Kybunpark spricht er über die Vorfälle und wie der Klub Auswüchsen entgegenwirkt.
Matthias Hüppi, was hat Sie vor dem Einschlafen nach dem Cupfinal mehr beschäftigt: die Niederlage Ihres FCSG oder die Ereignisse nach Spielschluss auf dem Rasen?
Der Tag war in vielerlei Hinsicht aufwühlend. Auch in positiver. Es war ein Mix aus allem. Die tolle, fröhliche Atmosphäre am Morgen rund um den Bahnhof und beim Marsch inmitten Tausender Fans zum Stadion ohne den geringsten Zwischenfall, wofür uns auch die Berner Polizei beglückwünscht hat. Dann die Erkenntnis, dass der Gegner besser war, und zuletzt die kleine Gruppe gewaltbereiter Dummköpfe auf dem Rasen, die drohten, den Luganesi das verdiente Fest zu verderben und auch dem FC St. Gallen grossen Schaden zuzufügen.
Im TV hat man mitbekommen, wie Sie von der Tribüne eilten und diesen Chaoten schnell und mutig entgegentraten. Nicht aber, wie Sie sie zum Rückzug bewegen konnten.
Ich habe einfach gemacht, was mir in diesem Moment richtig erschien. Ohne mir eine Strategie zurechtzulegen. Es ging nicht um mich, sondern einzig darum, eine Eskalation zu verhindern, und auch um den Ruf des FCSG.
Sie sagten im Vorfeld des Interviews, Sie wollten auf keinen Fall als Held dargestellt werden. Doch eine Reaktion wie Ihre hat man halt noch nicht oft gesehen in einem Stadion. Keine Angst beim Eingreifen?
Angst sicher nicht! Es war aber schon heikel, weil ich sofort merkte, was daraus entstehen könnte, wenn die kleine Gruppe grösser würde. Aber ich hatte gar nicht die Zeit, mir das zu überlegen. Was mir extrem wichtig ist: Ich habe schnell Support von besonnenen Personen aus der Fankurve erhalten. Ohne die wärs ganz schwierig geworden.
«Fans», die ihre Spieler zwingen, nach Niederlagen die Trikots abzugeben, Platzstürme, Beschuss mit Pyros. Die Ratlosigkeit der Verantwortlichen bei solchen Vorfällen ist sonst meist offensichtlich.
Gegen diese Auswüchse müssen wir uns gemeinsam zur Wehr setzen, ohne dass ich ein Patentrezept abgeben könnte. Es geht aber darum, Verantwortung zu übernehmen und es nicht zuzulassen, dass eine Gruppe von Gewaltbereiten alle anderen drangsaliert und den Fussball beschädigt. Tatsache ist aber, dass sich die Gesamtsituation im Gegensatz zur Wahrnehmung von aussen in unserem Stadion ganz klar verbessert hat. Es sind meist Ausreisser im Zusammenhang mit Auswärtsreisen, die uns wieder ein Stück zurückwerfen. Auch hier haben die Fans selbst aber schon einiges erreicht. Ich sehe es als Chefsache, den Dialog mit der offenen Fanszene zu suchen. Da hat es so viele konstruktive Kräfte darunter.
Trotzdem: Ist der Dialog denn mit allen möglich?
Mit allen nicht, das weiss ich. Es ist eine Herausforderung, aber es lohnt sich, sie anzunehmen. Dafür braucht es ein Grundvertrauen zwischen Fans und Klubverantwortlichen. Es ist kontraproduktiv, den Zampano markieren zu wollen und über die Medien Machtspiele zu veranstalten. Nach negativen Vorfällen nur hinzustehen und zu sagen: «Wir distanzieren uns in aller Klarheit», nützt nichts. Es gilt, intern auf beiden Seiten Klartext zu reden. Nur so kann man sich vertrauen. Hätten wir als Klub diese Basis nicht geschaffen, wäre es schwierig geworden in Bern.
Sie sind ein «Präsident des Volkes» mit grosser Nähe zum Anhang. Ist das an einem fussballverrückten Platz wie St. Gallen unabdingbar?
Nein, es ist nur unabdingbar für die Art, wie ich persönlich mein Amt verstehe. Ich schreibe keinen Leitfaden «Wie geht Präsident». Ich finde auch, die Fans haben ein Anrecht darauf, zu wissen, woran sie sind mit der Klubführung. Und zwar nicht nur, wenn die Sonne scheint. Darum bin ich gerne unter den Leuten.
Gibt es auch E-Mails mit Lob und Klagen direkt an den Klubchef?
Generell einfach Reaktionen – das ist Alltag! Nach diesem Cupfinal waren es so viele, dass ich entgegen meinem Ziel nicht alle persönlich beantworten konnte. Aber ich hatte zum Beispiel nach dem Verkauf unseres letzten Cupfinal-Ticketkontingents einen handgeschriebenen Brief auf grünem Papier im Briefkasten. Ein Bub schrieb mir, er wäre mit seinem Grossvater stundenlang angestanden und schliesslich einfach abgedrängt worden, als sie an der Reihe gewesen wären. Wir organisierten ihm dann einen Eintritt. So was macht mich glücklich.
Frühere Präsidenten wie Edi Nägeli beim FCZ, Gigi Oeri bei Basel oder Karl Oberholzer bei GC waren vorab Mäzene. Ihre Idee der Amtsführung beim Antritt 2018 in St. Gallen?
Die Eigentümer des FCSG suchten damals keinen Mäzen als Präsidenten, sondern hatten einen anderen Plan. Deshalb fragten sie mich an. Erstes Anliegen des damals ebenfalls neuen Verwaltungsrats und von mir war es, Vertrauen in den Klub zu schaffen durch Nähe, Offenheit und Transparenz.
Fans first, Sponsors second?
Nein, das funktioniert nur als Einheit. In St. Gallen ist das eng verbunden.
Medien warfen nach dem Cupfinal die Frage auf, ob die Euphorie des Matthias Hüppi durch allseits überhöhte Erwartungen eher kontraproduktiv gewesen sein könnte.
Ich akzeptiere diese Fragestellung selbstverständlich. Aber im Falle eines Cupsieges hätte es wohl geheissen, die Euphorie, die Hüppi entfacht habe, sei für den Erfolg mit ausschlaggebend gewesen. Ich sehe das gelassen, auch weil ich mich im Lauf meines Fernsehlebens daran gewöhnt habe, stets bewertet zu werden. Wir leben von den Emotionen und der Euphorie. Und die kann man weder künstlich erzeugen noch künstlich bremsen. Ich sage sicher nicht: «Seid bitte nicht euphorisch, wir verlieren vermutlich.»
Seit Ihrem Amtsantritt hat St. Gallen 2020 die Meisterschaft im letzten Moment verspielt, 2021 und 2022 den Cupfinal verloren. Sind das nicht doch Folgen des Erwartungsdrucks?
Man könnte auch sagen: fast Meister geworden und zweimal den Cupfinal erreicht. Fakt ist, dass wir nun dreimal kurz vor dem grossen Coup den letzten Schritt nicht gemacht haben, ja. Aber wir sind nicht YB oder Basel, die dank ihren Erfolgen und internationalen Einsätzen erfahren sind im Umgang mit Entscheidungsspielen.
Dennoch: Captain Lukas Görtler war nach dem Spiel den Tränen nahe. Er sagte, dass er den Pokal wieder nicht stemmen dürfe, sei sekundär, aber dass er die Träume so vieler Menschen habe platzen lassen, sei kaum verkraftbar. Das ist doch zu viel des Drucks.
Das sehe ich anders. Lukas ist ein Supertyp und speziell nahe an den Fans dran. Da ist das «schlechte Gewissen» halt unvermeidlich, wenn man die Fans irgendwann auch enttäuscht. Aber er ist nicht allein. Wir sind eine Einheit. Doch eine gewisse Distanz kann auch helfen, dass die Bürde nicht zu schwer wird. Gerade in St. Gallen.
Rassismusvorfälle, Fanausschreitungen bei Auswärtsspielen, jetzt der Platzsturm – waren Sie bei Amtsantritt in St. Gallen auch darauf gefasst?
Ich war mir natürlich der Schattenseiten schon bewusst, aber das Positive überwiegt klar und gibt Kraft, die Belastung auch im negativen Fall auszuhalten. Ich trage sie ja nicht allein, sondern stütze mich auf eine grossartige Crew. Kein Mensch kann die Einzelverantwortung für 19 000 Leute im Stadion tragen. Dort, wo wir direkt einwirken können, machen wir es auch. Wir haben unsere Haltung und unsere Werte; für sie stehen wir ein.
Nun gehts sportlich um nichts mehr. Wie verhindern Sie, dass die Euphorie rund um den FCSG «implodiert»?
Davor habe ich keine Angst. Für das letzte Heimspiel gegen Absteiger Lausanne sind bereits wieder mehr als 16 000 Plätze besetzt. Ich spüre gerade auch jetzt ein extrem solides Fundament aus Vertrauen, Solidarität und Support in weiten Kreisen. Selbst während unserer recht missglückten Vorrunde gab es nie Anzeichen dafür, dass eine Abwanderung vom Klub beginnt.
Die Begeisterung für Grün-Weiss – ist sie ein Selbstläufer? Keineswegs. Es braucht eine Mannschaft auf dem Platz, die so spielt, dass die Menschen Freude daran haben. Einen Staff, der den mutigen Spielstil, den wir wollen, umsetzt. Eine Klubführung, die das Umfeld dafür schafft und die passenden Spieler für dieses Projekt findet. Mitarbeitende mit Herzblut. Und niemand ist wichtiger als der Klub!
Also geht Matthias Hüppis erfolgreiche Präsidentschaft über die Vertragslaufzeit bis 2026 hinaus weiter?
Weiter hinaus als 2026 will und kann ich nicht planen. Das wäre vermessen. Ich gebe weiterhin mein Bestes und weiss, dass das für unser ganzes Team gilt. Und auch den Stich ins Herz, den uns der verlorene Cupfinal bereitet hat, werden wir verkraften.