Lia Wälti steht in ihrem Wohnzimmer in St Albans im Norden Londons, unweit vom Trainingsgelände von Arsenal, wo sie seit viereinhalb Jahren unter Vertrag steht. Der Kamin ist nicht mehr in Betrieb, vermittelt aber britisches Backstein-Flair. Eine Staffelei lehnt an der Wand, das erste Resultat von Wältis neuem Hobby hängt bereits an der Wand, daneben steht ein Büchergestell. Wälti zieht ein Kinderbuch heraus und blättert darin. «Es ist mein Wunsch, selber eines zu schreiben.» Sie mag Kinder, ist gerade zum ersten Mal Gotti geworden. Und sie findet: «Der Frauenfussball vermittelt so schöne Werte – die Vielfalt, die Diversität von Herkunft und Sexualität; bei uns sind alle akzeptiert.»
Trotzdem bleibe noch viel zu tun, und es reize sie, der nächsten Generation diese Werte per Kinderbuch und Fussball näherzubringen. Und eine Macherin ist sie sowieso. «Falls die Schweiz den Zuschlag für die EM 2025 bekommt, wäre das ein guter Zeitpunkt.» Der Entscheid soll am 4. April fallen. Lia Wälti spielt nicht nur eine tragende Rolle in der besten Liga der Welt – und zwar beim Co-Tabellenführer –, sondern amtete auch in der Schweizer Nati als Captain im besten Sinn des Wortes auf und neben dem Platz.
Liebäugeln mit einem Transfer
Zum ersten Mal war sie bereits mit 19 Kapitänin, das war bei YB. Ob in der Schule oder in der Lehre: Musste etwas getan werden, übernahm die Emmentalerin aus Langnau Verantwortung. «Irgendwas sahen die Leute immer in mir, das einen guten Captain ausmacht», sagt sie. Bei allem, was sie tut, strahlt sie Ruhe aus, ob sie nun beim Porridge-Zubereiten über Gleichstellung im Fussball spricht oder ihre Teamkolleginnen für eine Runde Darts zusammentrommelt.
Lia sieht viel, was andere nicht sehen, und merkt immer, wenn es jemandem nicht gut geht», sagt ihre australische Mitspielerin Caitlin Foord über Wälti, als die Kolleginnen später im Pub bei Cider und Lemonade sitzen, wo sie auch oft Karten spielen. «Sie ist offen, fürsorglich, hört gut zu. Aber auch sehr stur: Wenn sie etwas im Kopf hat, muss es so laufen.» Der Zusammenhalt im internationalen Kader sei gut, viele von ihnen sind zu Hause in ihren Nationalteams Führungsspielerinnen.
Im Sommer läuft Wältis Vertrag bei Arsenal aus. Die Mittelfeldspielerin fühlt sich wohl, liebäugelt aber auch damit, in einer anderen Liga nochmals längerfristig zu unterschreiben. Etwa in Spanien, wo sie neben der neuen sportlichen Herausforderung auch Lifestyle und Wetter reizen würden. Dass sie sich noch in der Entscheidungsphase befindet, gefällt ihr nicht unbedingt. «Ich bin ein Planmensch und würde gern wissen, was läuft.»
Wälti kann sich aber auch vorstellen, in England zu bleiben. Neben der sportlichen Qualität der Liga stimmt auch das Umfeld: Bei Arsenal nutzen die Frauen grundsätzlich dieselbe Infrastruktur wie die Männer, auch wenn es etwa bei der Grösse des Staffs und natürlich beim Lohn Differenzen gibt.
Wälti kann sich aber auch vorstellen, in England zu bleiben. Neben der sportlichen Qualität der Liga stimmt auch das Umfeld: Bei Arsenal nutzen die Frauen grundsätzlich dieselbe Infrastruktur wie die Männer, auch wenn es etwa bei der Grösse des Staffs und natürlich beim Lohn Differenzen gibt.
In England ist das Interesse seit dem Titelgewinn an der Heim-EM im Sommer 2022 «explodiert». Für Länderspiele ist das legendäre Wembley-Stadion mit 90 000 Plätzen innert Stunden ausverkauft, und auch in der Women’s Super League spielen die Frauen nun mehrmals pro Jahr in den grossen Stadien vor 40 000 Leuten. Die englischen Spielerinnen können nicht mehr unerkannt durch London gehen, «und wenn man zum Stadion fährt und dort ganze Familien und Kinder in deinem Trikot stehen, kommen dir die Tränen. Es ist noch ziemlich surreal.» Gleichzeitig gebe es auch immer noch Spiele vor 1000 Leuten. Der Frauenfussball – Lia Wälti spricht explizit auch immer von Männerfussball – befindet sich in einer spannenden Phase der Entwicklung.
Fernstudium mit Fernziel
Wälti ist überzeugt, dass auch das Schweizer Nationalteam letzten Sommer mit seinen EM-Auftritten viele Menschen begeistern konnte, trotz Vorrunden-Aus gegen schwierige Gegnerinnen. Für die anstehende WM in Australien und Neuseeland im Juli und August sind die Schweizerinnen in einer Vorrunden-Gruppe, in der vieles möglich ist. Viel Zeit, um die Impulse der neuen Trainerin Inka Grings umzusetzen, bleibt nicht. Im Februar fand der erste Zusammenzug unter der Deutschen statt, im April der nächste – und dann geht im Juli die WM-Vorbereitung los. Wälti freut sich auf die Zusammenarbeit mit Grings – «auf eine neue Herausforderung, neuen Schwung».
Mit Liga, Arsenals Ambitionen in der Champions League und der WM in der eigentlichen Sommerpause wartet ein herausforderndes Jahr auf Wälti. Zumal sie im Fernstudium Betriebsökonomie und Sportmanagement büffelt. Noch plant sie die Zeit nach der Karriere nicht, und ob sie dereinst in die Schweiz zurückkehrt, kann sie auch nicht sagen. Nach zehn Jahren im Ausland empfindet sie ihre Heimat manchmal als etwas engstirnig. Ihre jüngere Schwester Meret ist nach Kolumbien ausgewandert und hat «Women, Peace and Security» studiert. Sich mit ihr zusammen selbstständig zu machen, den Frauenfussball zu fördern und sich für weitere gesellschaftliche Themen zu engagieren – das wäre ein Traum von Lia Wälti. Vorläufig tut sie das aber bereits mit ihren Leistungen und ihrem Einsatz auf dem Fussballplatz. Und – wer weiss? – vielleicht bald auch mit einem Kinderbuch.