«Das Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde.» Wer auf dem Hof von Martin Fuchs, 29, in Wängi TG vorbeischaut, zweifelt keine Sekunde an den Worten des deutschen Schriftstellers Friedrich von Bodenstedt. Mächtige Vierbeiner springen über Hindernisse, grasen auf der Weide oder beobachten mit gespitzten Ohren vom Fenster ihrer Box aus das Treiben auf dem Trainingsgelände.
Die Box 1 gehört dem Star des Betriebs: Clooney. Der 16-jährige Wallach ist acht Monate nach seinem Trainingsunfall wieder munter auf den Beinen. Und über seinem Zuhause erinnert eine grosse Holztafel an einen seiner wichtigsten Siege: «Europameister 2019: Martin und Clooney».
Sturz auf der Weide
Der Triumph fühlt sich schon fast an wie aus einem anderen Leben – jenes vor der Pandemie und vor dem Misstritt, der dem mächtigen Schimmel einen gehörigen Schock bescherte. Als Clooney im Stil eines übermütigen Fohlens im vergangenen August über die Weide rannte, rutschte er bei einer Wende unglücklich aus, verlor das Gleichgewicht und stürzte auf die Schulter.
Im Tierspital Zürich realisierten die Tierärzte nach bangen Momenten, dass das Schlimmste nicht eintreten würde – und Clooney auf den Hof zurückkehren kann. «Wir wollen ihm einen würdigen und friedlichen Lebensabend auf der Weide ermöglichen», sagt Martin Fuchs und krault sein Pferd liebevoll. «Clooney ist wie ein Familienmitglied», kommentiert Mutter Renata Fuchs, 62, den innigen Moment.
Clooney und Martin Fuchs. Das ist eine Beziehung, die weit über die Pferdeszene hinaus bekannt und populär ist – wie einst Christine Stückelberger und Granat oder Willi Melliger und Calvaro. Martin Fuchs erinnert sich an die Anfänge der Zusammenarbeit: Er habe schon vor der ersten Begegnung mit Clooney eine spezielle Verbindung gespürt – aufgrund der Videoaufnahmen.
Beim Probereiten habe sich dieses Gefühl dann verstärkt: «Clooney war damals sieben Jahre alt. Aber es war sofort deutlich, welches Talent er besitzt.» Seither sind fast neun Jahre vergangen – und Clooney ist am Ende seiner Karriere angelangt. Entsprechend traurig blickt Martin Fuchs auf jenen Moment zurück, als sein Paradepferd plötzlich stürzte: «Der Unfall von Clooney war ein Riesenschock. Ich hätte nie gedacht, dass ihm auf der Weide so etwas passieren könnte.»
Ab in die Normandie
Doch nun gehts dem Pferd sichtlich besser: Aufmerksam mustert Clooney die Reporter und freut sich, als ihn Martin Fuchs auf die Weide begleitet. Schon bald aber geht die Reise für
das berühmte Pferd noch weiter: Um ihm die Freiheit zu vergrössern, soll er sein Rentnerdasein in der Normandie verbringen. «Dort sind die Dimensionen riesig – und der Auslauf für die Pferde fast unbeschränkt.»
Derweil arbeitet der Spitzenreiter mit seinem Vater und Trainer Thomas Fuchs, 65, an der Zukunft. Und die verspricht Grosses. Vor zwei Wochen gewann Martin in Leipzig den Weltcupfinal und damit ein Preisgeld von total 223 500 Euro. Das sei insofern wichtig, als dass man die Wirtschaftlichkeit des heimischen Betriebs (mit acht Mitarbeitenden) im Gleichgewicht halten könne. Noch wichtiger seien aber Einnahmen aus anderen Geschäften: mit Pferdehandel und mit Reitstunden.
Chaplin in Hochform
Speziell war der Sieg in Leipzig auch deshalb, weil Fuchs dabei auf zwei verschiedene Pferde setzte: Chaplin und The Sinner – wobei vor allem Chaplin im entscheidenden Moment zur Hochform auflief. Für Fuchs ist die Entwicklung dieses Pferdes eine grosse Freude – auch weil er selber viel Zeit dafür investiert: «Clooney verfügte über ein grosses Mass an Talent. Mit Chaplin muss man sich vieles erarbeiten.»
Im Hinblick auf die Olympischen Spiele in Paris 2024 stehen altershalber aber bereits andere Pferde im Fokus: Leone, Connor und Commissar Pezi. «Eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Pferd und Reiter muss über Jahre aufgebaut werden. Nur wenn man sich im Ernstfall blind aufeinander verlassen kann, sind grosse Siege möglich.» So habe das Reiten für ihn auch eine spirituelle Dimension, sagt der frischgebackene Weltcupsieger.
«Wie bei den Skifahrern»
Auf dem Weg zu den nächsten grossen Zielen mit den Weltreiterspielen im dänischen Herning als Höhepunkt setzt Fuchs auch auf die Zusammenarbeit mit Olympiasieger Steve Guerdat, 39, der nur wenige Kilometer entfernt lebt: «Wir unterstützen uns, wo und wann wir können. Am Weltcupfinal etwa teilte mir Steve seine Erfahrungen aus dem Parcours sofort mit – es war wie bei den Skifahrern.» Ähnlich wie bei diesen ist bei den Reitern auch die Rollenverteilung. Mit Guerdat und Fuchs sind (mindestens) zwei Schweizer am Start, die Grosses erreichen können. Und als Glücksbringer spielt Jahrzehnte-Pferd Clooney eine unverändert wichtige Rolle.