Heute sei sie an einem Punkt angekommen, «an dem ich im Reinen mit mir bin», sagt Stefanie Heinzmann, 31. Sie, die Stimmungskanone aus dem Wallis, die auf der Bühne immer 100 Prozent gibt und mit ihrer aufgestellten Art landesweit Sympathien geniesst.
Doch hinter der heute so zufrieden wirkenden jungen Frau steckt eine Vergangenheit, die es in sich hat. Heinzmann wusste in der Pubertät nicht mehr weiter. Ihr Kontrollverlust endete in der Psychiatrie – auch wenn sie nicht psychisch krank gewesen sei. «Ich war einfach völlig überfordert.»
Den Startschuss in ihre Krisenzeit markiert ein Bandscheibenvorfall, den die Walliserin mit 16 Jahren erleidet. «Es war eine Zeit, in der alles zusammenkam», erinnert sie sich im Gespräch mit Tanja Gutmann, 43, bei «#mental». «Der Bandscheibenvorfall war der Startschuss, als es wirklich schwierig wurde. Ich war überfordert, es war mir einfach zu viel.»
Als Ventil dient der Sängerin damals die Selbstverletzung. «Ich hatte den Impuls, mich zu kratzen, wenn ich überfordert war.» Narben sind davon keine übrig geblieben, aber «man sieht, dass da etwas ist», wie Heinzmann sagt. Heute kann sie sich nicht mehr erklären, was sie dazu verleitet hat. «Es hatte wohl mit den Schmerzen zu tun, weil ich nicht viel spürte.» Sie habe aus Stress begonnen, sich zu verletzen, um «nicht nur diesen Schmerz zu spüren». Sie wollte «einfach irgendetwas spüren, irgendetwas». Bis es irgendwann zu viel geworden sei.
Rückblickend erzählt sie, dass sie sich immer dann verletzt hat, «wenn ich emotional völlig überfordert war». Im Moment sehe man keinen Ausweg. «Ich konnte es nicht kontrollieren, ich sagte nicht: ‹Ich kratze mich jetzt.› Es war wie ein Zwang, irgendetwas anderes zu spüren als die Überforderung.»
In solchen Situationen «wäre ich am liebsten aus meiner Haut gefahren und gar nicht mehr hier gewesen», sagt sie. Selbstmordgedanken seien zwar nie ein Thema gewesen in der depressiven Phase. Aber: «Ich schrieb irgendwann in ein Tagebuch, das ich Jahre später fand: ‹Ich will nicht sterben, aber ich mag nicht mehr leben.›»
Selbstzweifel beschleunigen zu jener Zeit den Drang, sich verändern zu müssen. «Ich fand mich einfach voll daneben», erinnert sich Stefanie. «Es gab Phasen, in denen ich mich verabscheute. Ich hatte das Gefühl, ich sei das Letzte auf diesem Planeten. Ich bin hässlich und doof, nichts wert, und ich kann auch nichts.»
Mit 17 Jahren löst sich der Knopf. «Ich war mega schwach und mega müde und merkte, dass es meinem Körper immer schlechter ging.» Irgendwann dann habe sie sich gesagt: «Stefanie, wenn du singen, stehen und leben willst, musst du etwas essen.» Heute sagt Heinzmann klar: «Ich war damals eine Gefahr für mich selbst.» Doch alleine findet sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr aus dem Teufelskreis raus. Heinzmann holt sich Hilfe, lässt sich vier Monate vor ihrem 18. Geburtstag in die Psychiatrie einweisen. Ein Glücksfall, wie heute für sie feststeht. «Ich habe sehr früh gemerkt, dass ich Hilfe brauche. Ich glaube, für mich war es wichtig, Verantwortung zu übernehmen und zu sagen: ‹Es gibt einen Weg, auch wenn ich ihn noch nicht sehe.›»
Die Psychiatrie bezeichnet Heinzmann nicht als generellen Ausweg. «Für mich war es einfach der Weg.» Sie begibt sich, gerade noch minderjährig, in eine Kinderklinik ein. An die Zeit dort hat sie verschiedene Erinnerungen: Es wird viel gelacht, aber dennoch ist man in der Einrichtung sehr strikt mit ihr. «Wenn du nicht isst und in den nächsten zwei Wochen keine Fortschritte machst und zunimmst, musst du ins Anorexie-Programm», habe man ihr gesagt, erzählt die Sängerin. «Das wollte ich nicht, ich strengte mich also endlos an.»
«Ich schrieb irgendwann in ein Tagebuch, das ich Jahre später fand: ‹Ich will nicht sterben, aber ich mag nicht mehr leben.›»
Stefanie Heinzmann
Die Therapie verlangt alles von ihr ab. «Ich sass teilweise zwei Stunden vor dem Teller», erinnert sich Heinzmann. Irgendwann habe sie herausgefunden, wie sie es schaffe, zu essen. «Wenn ich das Essen ganz klein schneide und Geduld habe. Wenn du so kleine Stücke isst, gehen sie besser runter.» Später hat sie auf Tour auch entdeckt, dass es ihr helfe, ohne Besteck zu essen. «So ass ich alles, auch Salat und Nudeln, mit den Händen.»
Es sei für sie ein «mega Konflikt» gewesen, die Gewohnheit umzustellen. «Weil es so einfach ist, nichts zu essen. Der Reiz ist da, dass du einfach sagst: ‹Ah, ich habe sowieso etwas zugenommen.›» Aus dem Teufelskreis holen sie aber auch die anderen Mädchen in der Psychiatrie, die teilweise schwer magersüchtig sind. «Das will man einfach nicht für sich, wenn man das sieht», erklärt Heinzmann. «Mein Körper sagte mir: ‹Das kann doch nicht mein Weg sein!›»
Drei Monate bleibt Stefanie Heinzmann in der Psychiatrie. Bald nach ihrem Austritt lässt sie sich am Rücken operieren. Und mit der Operation geht es schliesslich auch physisch wieder bergauf. «Das war für mich wie eine Neugeburt», erinnert sie sich. «Es wurde mir plötzlich sehr bewusst, wie schön sich ein Körper ohne Schmerz anfühlt.»
Nach ihrem Sieg bei Stefan Raabs Castingshow «Stefan sucht den Superstar, der singen soll, was er möchte, und gerne auch bei RTL auftreten darf» 2008 muss sich Heinzmann ein weiteres Mal unters Messer legen. Ein neuerlicher Bandscheibenvorfall gefährdet ihre Gesundheit. «Der Arzt schnitt mich zweimal auf und hat zweimal gesagt: ‹Ein halbes Jahr länger und du wärst im Rollstuhl.›»
Dennoch sagt Stefanie Heinzmann heute, dass sie dankbar für all das sei – weil sie dadurch viel gelernt habe. «Ich hatte Momente, in denen ich das Gefühl hatte, es könnte nicht weitergehen. Das ist das Schönste, was ich lernte: das Vertrauen, dass ich das alles überlebte.» Sie wisse heute, dass sich die Welt weiterdrehe, dass Tage einfach vorbeigehen würden. «Das ist sehr schön zu wissen.»
Heute geht es ihr gut. «Ich kann jetzt von mir sagen: Ich fühle mich mega wohl in meinem Körper und bin im Reinen mit mir.» Auch wegen ihres Äusseren macht sie sich nicht mehr so viele Gedanken wie früher. «Ich bin jetzt an einem Punkt angekommen, an dem ich mich wirklich schön fühle.»
Dass sie heute so offen mit diesem schwierigen Kapitel in ihrem Leben umgeht, hat seinen Grund: Sie möchte auch anderen mit auf den Weg geben, dass es immer irgendwie weitergeht. Aus allen Schwierigkeiten, die sie in ihren Jugendjahren hatte, nimmt sie eine zentrale Erkenntnis mit. «Es wird immer eine Lösung geben und einen Weg», ist Heinzmann überzeugt. «Auch wenn es in dem Moment wirklich unvorstellbar ist.»
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