Es gäbe so viel zu sagen. Der Teufelskerl! Diese Maschine! Dieser Ski-Gott! Doch allen hat es die Sprache verschlagen. «Ich habe nicht mehr wirklich Worte», sagt Walter Reusser, CEO Sport von SwissSki. «Ich war tatsächlich ein wenig sprachlos», erzählt Mutter Priska. Wer Marco Odermatts (27) Auftritt am Chuenisbärgli gesehen hat, weiss, weshalb seinem Umfeld die Worte fehlen. Da war er wieder, schon wieder, einmal mehr: der Ausnahmekönner auf Ski.
Die Bilanz spricht Bände: Zum vierten Mal in Folge macht der 27-Jährige das Zielstadion von Adelboden zu seinem Wohnzimmer. Nur die schwedische Ski-Legende Ingemar Stenmark (68) hatte den Klassiker bislang viermal in Serie gewonnen. Dann kam Odi! Doch von Routine oder Selbstverständlichkeit kann nicht die Rede sein. Zu gewinnen, sei «jedes Jahr grossartig», schwärmt der Nidwaldner.
Ein etwas anderer Triumph
Diesmal jedoch ist alles etwas anders. Statt wie gewohnt am Samstag darf Odi heuer am Chuenisbärgli erst am Sonntag ran. Am Mittwoch hatten die Organisatoren wetterbedingt die Disziplinen getauscht, um die Chancen auf zwei Rennen in Adelboden zu wahren.
Und dann ist da Loïc Meillard. Der 28-jährige Edeltechniker eröffnet das Rennen mit einem solch starken Lauf, dass niemand an ihm vorbeizieht. Der Ausfall im Slalom vom Vortag kann ihm nichts anhaben. «Enttäuschungen sind Teil des Sports», erklärt er seine starke Rückkehr. «Du musst das abhaken, die neue Chance sehen und wieder Gas geben.» Zum ersten Mal nach drei Jahren führt Odi damit nicht nach dem ersten Lauf, sondern startet als Jäger – und verblüfft mit seiner Siegesfahrt gar seine Mutter Priska.
«Ich hätte es Loïc wirklich auch gegönnt, dass er gewinnt, und ich dachte, diesmal würde es reichen», sagt sie nach dem Rennen. Zwei Zehntelsekunden entscheiden letztlich zugunsten ihres Sohnes, zugunsten einer Ski-Party. Der Hexenkessel bebt: Doppelsieg!
Schweizer trumpfen auf
An diesem Sonntag läuft alles wie am Schnürchen für die Skination Schweiz. Neben dem Sieges-Duo fahren Thomas Tumler (35) und Luca Aerni (31) in die Top 7. «Heimrennen sind immer das grosse Highlight, und mit diesem starken Teamresultat ist es noch schöner!», sagt Odermatt.
Acht ist seine Lieblingszahl. Angesprochen darauf, ob seinem vierten Chuenisbärgli-Triumph damit in den kommenden Jahren noch vier folgen werden, meint er mit einem Augenzwinkern: «Schauen wir mal.»
Familiensache
An und auf der Piste waren beim grossen Skifest auch das Berner Vater-Sohn-Duo von Grünigen: Vater Mike feierte Erfolge, Sohn Noel (29) kämpft um den Anschluss. Ohne Kaderzugehörigkeit will es der Slalomspezialist auf eigene Faust schaffen – mit viel Aufwand, aber Rückhalt. Im April 2024 hiess es für Noel: Kaderstatus weg, zurück in den Regionalverband. Grund: zu wenig Resultate, Alter zu hoch. Eine Überraschung wars nicht. Noel: «Trotzdem war da die leise Hoffnung, man würde eine Ausnahme machen.»
Es gab keine. Nach zehn Jahren war Noel nicht mehr Teil von Swiss-Ski. Die Zukunft ungewiss. Sollte er weitermachen, den Traum an der Slalom-Weltspitze weiterverfolgen? Er habe sich erst sammeln müssen, erzählt der Schönrieder. Um wenig später festzustellen: Das Feuer brennt noch. «Ich wollte alles zumindest noch einmal machen, alles geben, um meinen Platz im Weltcup wieder zu sichern.»
Ein halbes Jahr später hat von Grünigen drei Top-Ten-Ergebnisse im Europacup, dreimal durfte er im Weltcup ran, zuletzt am Samstag in Adelboden. Ohne Punkte zwar, trotzdem sagt sein Vater: «Skifahrerisch war er noch nie so stark wie jetzt.»
Er muss es wissen: Michael «Mike» von Grünigen ist der vierterfolgreichste Schweizer Skifahrer aller Zeiten. Am Chuenisbärgli stand der 55-Jährige fünfmal auf dem Podest. «Die Piste ist sehr selektiv. Das kam mir entgegen.» Erfolge, von denen sein Sohn bislang nur träumen konnte. «Ich wünsche ihm, dass er zeigen kann, was er draufhat, und die Früchte erntet für alles, was er in den Sport steckt.»
Mit «Dädi» an der Seite
Neben Schweiss und Leidenschaft geht es auch um viel Geld. Tausende von Franken muss Noel als Einzelkämpfer selbst berappen: für Trainings, Reisen, Material. Auf einen Schlag war er nicht mehr nur Athlet, sondern Trainer, Manager, Servicemann. Eine Belastung, an der andere zerbrechen. Nicht so Noel. «Die Ski zu wachsen, hat etwas Meditatives.» Mühe machte ihm zunächst die Organisation – Trainingsmöglichkeiten suchen, Reisen buchen. Doch der gelernte Zimmermann kann auf Hilfe zählen. «Die Unterstützung, die ich erhalte, hat mich überwältigt.»
Auch in der Familie fand er bedingungslosen Rückhalt. In Gesprächen mit Freundin Raphaela reifte der Entschluss, es noch einmal zu versuchen, die Brüder Elio und Lian sowie Mama Anna sind da, wenn Noel sie braucht. «Dädi» Mike fuhr mit ihm in die Skihalle nach Belgien, machte die Grundpräparation der Ski. Gezweifelt hat der zweifache Weltmeister nie am Weg, den sein Sohn ohne Verband im Rücken geht. «Ich bewundere ihn sehr und bin stolz, dass er das so durchzieht.»
Illusionen macht sich Noel keine. Diese Saison ist eine Zugabe. «Ich mache alles nur noch für mich.» Den Slalom in Wengen wird er auslassen. Im Europacup kann er an diesem Wochenende Punkte holen, um fix im Weltcup starten zu können. Schafft er den Sprung ins Kader, dann geht es wohl weiter. Was, wenn nicht? «Es kann sein, dass es meine letzte Saison ist», sagt er. Er sei zwar noch nicht so erfolgreich gewesen, wie er es sich als Bub gewünscht hatte. «Doch ich habe viel mehr erreicht, als ich zwischenzeitlich dachte.»