«Non, Papa, so musst du den Schläger halten», sagt Elod und geht zum Start des Minigolf-Lochs 4 zurück, wo sein Vater lachend auf Anweisungen wartet.Tadesse Abraham, 36, hat noch nie Minigolf gespielt, sein Sohn schon, und das will dieser dem Papa nun beibringen.
Der Schweizer Rekordhalter im Marathonlauf weilt eine Woche in Giverola an der spanischen Küste, wo er im Sportplausch für seinen Sponsor Ochsner Sport Lauftrainings leitet. Sohn Elod, 7, und seine Frau Senait, 43, kommen mit und geniessen mit «Tade» die Zeit, in der kein Training ansteht.
Der Bauernsohn aus Eritrea
Mit Elod kann Abraham gewisse Dinge nachholen, die er aus seiner Kindheit kaum kennt: Karten- oder Brettspiele zum Beispiel, «es gibt so viele lustige Sachen», sagt er, der als Bauernsohn in Eritrea aufgewachsen ist. «Bei uns fing man mit sieben Jahren an, Verantwortung zu übernehmen, den Eltern zu helfen, einfach dem Alter entsprechend.»
Elod hingegen darf sich austoben, probiert gerne jeden Sport. Begeistert ist er aber vor allem vom Fussball. Zu Hause in Genf spielt er deshalb auch im Klub; in die Leichtathletik geht er nicht. «Mit zu vielen Verpflichtungen in diesem Alter hätte er vielleicht bald die Nase voll», sagt Abraham, der aber gerne mitmacht, wenn ihn sein Sohn zum Sprintduell herausfordert.
Als Kind ist der Radsport die grosse Leidenschaft von Abraham. In seiner Kindheit in Eritrea besitzt er das einzige Fahrrad der Familie. Als dieses bei einem Unfall mit einem Auto kaputtgeht und Abraham weiss, dass der Unfallverursacher sich keinen Ersatz leisten kann, ist dieser Weg aber abrupt zu Ende. Ab da läuft er die zehn Kilometer zur Schule und beginnt erfolgreich für sich zu trainieren – auch weil er als Jugendlicher so ein Gratisfrühstück oder Laufschuhe verdienen kann.
Asyl in der Schweiz
Die unsichere politische Situation in seinem Heimatland belastet ihn. Als «Tade» 2004 mit der Nationalmannschaft in Belgien an der Cross-WM weilt, setzt er sich mit einem Kollegen ab und beantragt Asyl in der Schweiz. Nahe seines Heims in Uster ZH findet er Anschluss an eine Läufergruppe vom LC Uster – und so beginnt seine Laufkarriere in der Schweiz. Er gewinnt Strassenläufe oder rennt als Tempomacher.
Abraham findet nicht nur sportlich sein Glück, sondern auch die grosse Liebe: 2008 lernt er an einem Volkslauf Senait kennen, die gerade als Hobbyläuferin für den New York Marathon trainiert. Die heute 43-Jährige hat ebenfalls eritreische Wurzeln, ist aber in der Schweiz aufgewachsen und arbeitet in Genf in der Finanzbranche. Es funkt, Tadesse zieht zu ihr in die Westschweiz, und die beiden heiraten 2011. Tadesse liebt den Sinn und die Verantwortung, die die Familie mit sich bringt. «Als ich im vergangenen Jahr verletzt war, standen Senait und Elod links und rechts von mir. Es ist schön, eine Situation mit jemandem teilen zu können. Meine Frau hilft mir viel dabei, Lösungen zu finden.»
Umso mehr geniesst er nun die gemeinsame Zeit mit Senait beim Sportplausch in Spanien. Dabei werden in ihm Kindheitserinnerungen wach, als Schwingerkönig Matthias Sempach ihn zum Training einlädt. Denn auch in Eritrea kennen Kinder eine Art Ringkampf, der unserem Schwingen ähnelt. Der Plausch zwischen den beiden ungleichen Sportlern wird zum Highlight bei den Umstehenden: Sempach schultert den 61 Kilo leichten Läufer, der mit seiner bescheidenen und zuvorkommenden Art bestens ankommt – Chancen hat Abraham trotz Kindheitserfahrungen natürlich keine.
Die Familie gibt «Tade» Kraft
Kurz nach dem Sportplausch gehts für Abraham nach Äthiopien, wo er wie viele andere Langstreckenläufer einen Teil des Winters verbringt. Mit der Ausnahme von ein paar Tagen bleibt er bis zum 25. Januar dort – dann will er am Dubai-Marathon den Europarekord angreifen.
In der langen Zeit fern von zu Hause telefoniert er täglich mit Senait und Elod und hat den Familienkalender dabei, den sie jedes Jahr basteln. «Ich ziehe sehr viel Energie daraus, dass ich nicht mehr nur für mich laufe», sagt Abraham, «Senait und Elod investieren ja auch viel, wenn ich drei Monate lang weg bin.» Ist er daheim in Genf, hat er hingegen viel Zeit für Elod. Dann spielen sie Fussball, laufen nach dem Training eine Runde oder fahren zusammen Velo. Mittlerweile besitzt er wieder zwei – ein Rennrad und ein Mountainbike.
Den Schweizer Pass hat Abraham seit 2014, zehn Jahre nach seiner Einreise. Seither wurde er 2016 Olympia-Siebter, 2017 Halbmarathon-Europameister und holte im August 2018 EM-Silber im Marathon. Zudem löste er Viktor Röthlin als Schweizer Marathon-Rekordhalter ab (2:06:40). «Ich möchte wissen, wo meine Grenzen sind, und Geschichte schreiben», sagt Abraham, der neben Eritreisch und Deutsch fliessend Französisch, Englisch und Amharisch spricht.
Ein Ende seiner Karriere sieht Abraham mit 36 noch lange nicht. Der Weg von eritreischen zu Schweizer Medaillen hat Zeit gebraucht. Nun brennt er darauf, die neuen Chancen auszukosten.