Was ist in der sportlichen Rangliste besser als zwei? Eins. Klar also, was Daniela Ryf, 28, meint, wenn sie sagt, sie wolle auf Hawaii beim Ironman 2015 «besser sein als im Vorjahr». Da beendete die Solothurnerin den wichtigsten Langdistanz-Triathlon der Welt auf Rang zwei. Bleibt nicht viel Spielraum gegen oben; Ryf will den Hawaii-Triathlon am 10. Oktober gewinnen und damit endgültig auch offiziell die Beste ihres Fachs werden.
Inoffiziell ist sie es längst. Wie bei jenem deutschen Auto, von dem es in der Werbung hiess, «es läuft und läuft und läuft», müsste es bei Daniela Ryf heissen, «sie siegt und siegt und siegt». Jeden einzelnen Wettkampf über die lange und die halbe Ironman-Distanz (70.3 km) hat sie gewonnen, seit sie sich vergangenen Juli sehr kurzfristig für den Umstieg von der olympischen und der Mitteldistanz auf die Ironman-Strecke entschieden hatte. Mit Ausnahme eben des wichtigsten aller Bewerbe. Doch 70.3-Welt- und Europameisterin ist sie, die Ironmans von Zürich und Kopenhagen hat sie gewonnen, und diese Saison stehen bei vier Starts ebenfalls bereits vier Siege auf dem Resultatblatt.
«Es spricht nicht viel dagegen, dass ich den Ironman Hawaii dieses Jahr gewinne», sagt Daniela Ryf ohne jeden Anflug von Überheblichkeit. Eine, die bereits im Nachwuchs als Jahrhundert-Talent galt und ihrer Konkurrenz oft weit entrückt schien, darf diese Überzeugung wohl haben. Und hätte nicht ein geschwächtes Immunsystem mit massiven Magen-Darm-Problemen ihre Karriere während Jahren ins Stocken gebracht, sie wäre wohl jetzt schon eine Triathlon-Legende. So aber brauchte es vor einem Jahr quasi den «Schubser ins kalte Wasser», um aus dem Triathlon-Talent Ryf die Weltklasse-Ironlady zu machen. Ihr australischer Trainer Brett Sutton, der einst schon Chrissie Wellington zur Hawaii-Ikone geformt hatte, schickte Daniela in Zürich einen Tag nach dem Rennen über die Olympiadistanz (natürlich als Siegerin…) gegen deren Überzeugung gleich auch noch auf den Ironman. Fragen nach dem Resultat bei der Premiere?
Eigentlich sollte man Daniela in einer eigenen Kategorie starten lassen
EIGENE GESETZE AUF HAWAII
Und nun rast dieser Sieges-Express scheinbar unaufhaltsam Richtung Hawaii. «Daniela setzt im Training Parameter, die für andere Triathletinnen schwer erreichbar sind», sagt Brett Sutton. Und als Ryf Anfang Juni beim 70.3-Triathlon von Rapperswil auf dem Velo versuchsweise über die Belastungsgrenze hinaus ging und im Laufen prompt der «Hammermann» kam, sie aber dennoch mit einer «Weltreise» von 18 Minuten Vorsprung gewann, sagte die chancenlose Zweite, Sonja Tajsich: «Eigentlich sollte man Daniela in einer eigenen Kategorie starten lassen.»
Auf Hawaii gelten allerdings eigene Gesetze. Schon deshalb sind die knapp vier Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen auf Big Island einer der meistbeachteten Sportwettkämpfe der Welt. «Das noch grössere Problem als die Hitze ist die extreme Luftfeuchtigkeit. Dazu bläst ständig ein starker Wind. Und die Laufstrecke ist ziemlich hügelig», erklärt Daniela Ryf die besonderen Anforderungen des Parcours rund um Kona. Kommt das psychische Element dazu: «Auf dem Velo wird die Fahrt durch die scheinbar endlose Einöde mitunter recht eintönig. Und weil es coupiert ist und man gegen den Wind anfährt, kann man auch nie die Beine baumeln lassen.»
Trotzdem wird sie auch bei ihrem zweiten Hawaii-Start nicht auf den Support von Coach Sutton vor Ort zählen können. Er reist nicht an den Ironman; seine Arbeit passiert im Vorfeld. «Natürlich würde es eine gewisse Sicherheit geben, ihn dabei zu wissen», sagt Daniela. «Aber weil es eine Strecke mit einem einzigen Wendepunkt ist, könnte er sowieso kaum grossen Einfluss üben.»
Im vergangenen Jahr, bei ihrem Debüt auf Hawaii, bekam Daniela Ryf ihre Grenzen noch von der Australierin Mirinda Carfrae aufgezeigt. Bis sieben Kilometer vor dem Ziel der Laufstrecke steuerte Ryf sogar dem Sensationssieg als Debütantin entgegen. Doch dann lief Carfrae an ihr vorbei und gewann schliesslich mit zwei Minuten Vorsprung. Im Ziel schwankte Daniela Ryf darum zuerst zwischen Verärgerung, Enttäuschung und Stolz. Inzwischen aber, aus der Distanz, sieht sie nur noch das Positive ihres Vize-WM-Titels: «Mirinda ist eine Spezialistin für sehr heisse Verhältnisse. Vor allem aber weiss ich nun, was mir damals gefehlt hat und was ich falsch gemacht habe.» Sie war zwar genauso fit wie heute, aber weil sie nicht mit dem Ironman geplant hatte, fehlte ihr das spezifische Marathontraining. Entsprechend hat sie nun ihr Lauftraining intensiviert. «Nach wie vor ist das Velo meine Paradedisziplin, aber ich habe im Laufen grosse Fortschritte gemacht.» So hat sie den reinen Marathon auch schon in 2:48 Stunden absolviert. «Damit habe ich nur schon mental einen wesentlichen Vorteil, wenn ich vom Rad steige und auf die Laufstrecke gehe.»
Ich verlor einen Energieriegel und hob ihn nicht auf. Das habe ich böse gebüsst
TAUSENDUNDEINE NACHT
Im Oktober wird sie auch gewisse Fehler zu vermeiden wissen, die ihr im Vorjahr auf Hawaii noch passiert sind. Da verlor sie beispielsweise unterwegs einen Energieriegel, hob diesen aber nicht auf, um keine Zeit zu verlieren. «Diese 200 Kalorien fehlten mir. Das habe ich böse gebüsst. Passiert mir dasselbe nochmals, drehe ich um und hebe ihn auf. Ich habe inzwischen einige Versuche mit der Ernährung auf der Strecke gemacht und weiss heute, was richtig ist für mich.»
Auch punkto Bekleidung wird sie besser vorbereitet sein. 2014 fuhr sie auf dem Velo in einer gewöhnlichen Radhose und wechselte diese dann gegen eine Laufhose. Diesmal wird sie den ganzen Bewerb im gleichen Ein- oder Zweiteiler bestreiten.
Und schliesslich wird Daniela Ryf auch zwei, drei Tage früher auf Hawaii eintreffen, um sich an die speziellen Verhältnisse noch besser anzugewöhnen. Auf dem Weg dahin wird sie einen Trainingsaufenthalt in Südkorea einschalten, wo das Klima fast noch feuchter ist als auf Hawaii. Eine perfekte Simulation der Verhältnisse.
Es scheint also alles angerichtet für Daniela Ryfs letzten sportlichen Schritt auf den Triathlon-Olymp. Das Umfeld könnte ohnehin nicht besser sein. Ihre Trainingsbasis ist seit Längerem in St. Moritz, wo Coach und Mentor Brett Sutton mit seiner Schweizer Ehefrau und der Familie wohnt. Sie selbst mietet für die längeren Aufenthalte im Engadin jeweils eine Wohnung.
Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass ich mit Triathlon so viel Geld verdienen kann
Und seit diesem Jahr tönt es im sportlichen Organigramm der Profisportlerin sogar ein bisschen nach «Tausendundeine Nacht»: Ryf gehört zum Bahrain Endurance Team (BET). Betrieben wird dieser Zusammenschluss von 13 Top-Triathletinnen und Triathleten der Welt vom bahrainischen Prinzen Nasser Bin Hamad al Khalifa. Der, selbst ein mehrfacher Ironman-Finisher, möchte das Fitnessbewusstsein seiner Untertanen verbessern und leistet sich das Triathlon-Team als Motivationszugpferd. Für Daniela ist BET vorab ein zahlungskräftiger Arbeitgeber. Einer gar, der sie reich macht? Ryf überlegt länger und sagt: «Ich war schon bisher sponsorenmässig auf der sicheren Seite. Von dem, was ich im Bahrain Endurance Team verdiene, kann ich nun einiges für die Zukunft beiseitelegen. Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass ich mit Triathlon so viel Geld verdienen kann.»
Was nicht heissen soll, dass Daniela Ryf nun prassen kann. «Die Stars in Sportarten wie Fussball oder Tennis bewegen sich schon noch in ganz anderen Sphären.» Und sie hat auch Auslagen. Trainer Brett Sutton muss bezahlt sein, der eigene Velo-Servicemann, den sie neuerdings hat, ebenfalls. Und auch ihre Familie arbeitet nun zum Teil in der «Firma Ryf» mit. Mama Ursula kümmert sich um Administratives, Bruder Joel, ein Eishockeyspieler, um die Website.
DANN DER WELTREKORD?
Richtig viel Geld, eine Million Dollar, steht zudem Ende Jahr in Aussicht. Dann wird die dreiteilige Rennserie Triple Crown abgeschlossen, deren erstes Rennen Ryf Anfang Saison in Dubai gewonnen hat. Die Million holt, wer alle drei Rennen gewinnt.
Umso mehr spricht es für Daniela Ryf, dass sie sich bei den günstigen Umständen und tollen Aussichten nicht mit dem Erreichten zufrieden gibt. Ihr Studium der Lebensmitteltechnologie in Bern führt sie weiter. «In den nächsten eineinhalb Jahren möchte ich den Bachelor machen, und im Moment plane ich, gleich anschliessend ein Masterstudium in Ernährung anzuhängen.»
Zuvor aber will sie sich auf Hawaii zur besten Ironman-Athletin der Welt krönen. Und dann «irgendwann vielleicht den Ironman-Weltrekord von 8:18 Stunden angreifen» Nein, dieser Sieges-Schnellzug namens Daniela Ryf scheint wirklich kaum zu stoppen.
Dieser Artikel stammt aus der neuen Ausgabe «SI Sport» - seit 27. Juli mit der «Schweizer Illustrierten» am Kiosk, auf Ihrem iPad oder im Webreader.